Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Wolf.
„Du bist besessen“, hörte sie ihn hinter sich murmeln.
Anke stoppte ihre Finger, hob den Kopf, als überlege sie einen Moment und nickte dann bestätigend.
„Das alles, was geschehen ist und weiter geschehen wird, ist jetzt öffentliches Eigentum. Ich bin die Einzige, ich meine, wir“, verbesserte sie sich geschwind, „die am meisten darüber wissen, und es erfüllt mich mit einer unbeschreiblichen Befriedigung, darüber schreiben zu dürfen“, erklärte sie ihre Besessenheit.
„ Kann ich dir vielleicht irgendetwas besorgen, um deine Schaffenskraft noch zu steigern?“
„ Schokolade. Ich habe Heißhunger auf Schokolade.“
Ihr Körper verlangte Nervennahrung.
„Vollmilch mit Nuss und einen guten trockenen Roten.“
Sie hörte Wolf die Minibar öffnen.
„Zu teuer“, reagierte sie, ohne den Blick von ihrem Notebook zu wenden. „Gleich gegenüber ist ein Laden.“
Sie hörte in ihrem Rücken die Zimmertür ins Schloss fallen.
Über ihren Artikel vergaß sie die Zeit. In dem Moment, als sie den Mausklick auf ’Senden’ setzte, fiel ihr auf, dass sie immer noch alleine war. Nach ihrem Zeitgefühl hätte Wolf längst zurück sein müssen. Aber vielleicht nutzte er die Zeit, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. Tief atmete sie die durch den Regen gereinigte Aprilluft ein und empfand es als Vorbote des Wonnemonats Mai, der morgen begann. „Mai“, sagte sie laut. Das Wort währte plötzlich allein in ihrem Kopf. „Mai“, wiederholte sie flüsternd und spürte eine heiße Welle ihren Körper durchfluten. Cara, Walpurgisnacht, Opferung. Die drei Worte jagten wie aneinander gekettet durch ihren Kopf. Ein Produkt ihrer überreizten Fantasie oder Wirklichkeit? Ihr Herz pumpte. Wo blieb Wolf? In Windeseile schloss sie das Fenster, schnappte ihre Jacke und verließ das Zimmer. In der Hotelhalle drehte sie um, rannte zurück und steckte ihr Handy ein.
Obwohl sie Wolf nicht mehr in dem Lebensmittelgeschäft vermutete, suchte sie es auf und verließ es enttäuscht. Sie blickte die Straße hinauf und hinunter. Keine Spur von ihm. Wie hieß es, dachte sie, ’er ging fort, um Zigaretten zu holen und kam nie mehr zurück’. Sie schüttelte ihre Locken. Das ist ja wie im Film. Nein, nicht Wolf. Es musste ihm was zugestoßen sein. Mittlerweile war es Abend. Sie wollte gerade Holgers Nummer drücken, als ihr Handy klingelte. Überrascht vernahm sie Albrechts Stimme.
„Sie hatten recht. Wir haben auf dem Gartengrundstück etliche Menschenknochen gefunden. Die hatten wohl nicht immer einen Häcksler gehabt. Wir haben nämlich auch eine Frauenleiche ausgegraben, unter dem Schäferwagen, gut versteckt.“
„ Ach“, ließ sie nur verlauten. Ihre Gedanken waren schon wieder bei Wolf.
„ Hallo, sind Sie noch da, Frau Journalistin?“
„ Mein Mann ist verschwunden“, antwortete Anke auf die Frage. “Er ist einfach nicht zurückgekommen. Es muss ihm etwas passiert sein.“
Sie dachte daran, was schon alles Schreckliches geschehen war.
„Ob sie ihn haben?“
Die Worte brachte sie klar hervor, jedoch bemerkte sie, wie ihre Lippen zittern.
„Sie meinen die Apostel Diabolus?“, fragte Albrecht. In seiner Frage schwangen Erstaunen und Zweifel mit.
„ Irgendetwas stimmt nicht.“
„ Das Haus wird beobachtet. Bisher ist nichts Verdächtiges vorgefallen.“
„ Er ist seit fast zwei Stunden verschwunden.“
„ Beruhigen Sie sich. Ich gehe der Sache sofort nach. Melden Sie sich bitte, sobald er auftaucht oder es sonst etwas Neues gibt.“
„ Sie bitte auch.“
Anke drückte den roten Knopf, biss die Zähne aufeinander und presste ihre Lippen so sehr zusammen, dass sie nicht mehr zu sehen waren. Sie glaubte, sie würde gleich platzen. Diese arroganten Stümper, beschimpfte sie Albrecht und seine Leute in Gedanken. Sie sah die Straße entlang. Es war keine belebte Durchgangsstraße, im Moment kroch nur ein einziges Fahrzeug in ihre Richtung. Anke schloss für einen Moment die Augen und überlegte, was sie als Nächstes tun wollte. Ach ja, Holger anrufen. Sie drückte seine Nummer ein. In dem Augenblick stoppte vor ihr das auf sie zugekommene Fahrzeug, die Tür wurde aufgerissen, Arme griffen nach ihr und zerrten sie in den Wagen. Ehe sie aufschreien konnte, spürte sie ein feuchtes zusammengedrücktes Tuch auf ihrer Nase. Äther, dachte sie noch und verlor das Bewusstsein.
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Durch mich geht’s ein zur Stätte des Grauens, drum lasst
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