Die Baeren entdecken das Feuer
eng, denn der Horizont schien zum Greifen nahe zu sein. Es wurde kalt und kälter. Ich versuchte mich zu bewegen und sah, wie sich die Dunkelheit insgesamt mit mir bewegte…
»Zurückgeholt um sieben Minuten nach fünfzehn Uhr«, sagte DeCandyle. Sorel tätschelte meine Wangen. »Wir haben Kontakt verloren«, hörte ich sie sagen.
Ich war nicht mehr im Wagen, sondern kauerte auf der Rollpritsche. Ich fror. »Dauer: hundertsiebenunddreißig Minuten«, sagte DeCandyle. Klick.
Ich richtete mich auf und legte beide Hände ans Gesicht. Die Wangen waren kalt. Die Hände zitterten.
»Ich bringe ihn nach Hause«, sagte Sorel.
»Wo sind wir gewesen?« fragte ich. Doch statt mir zu antworten, gab sie noch mehr Gas.
Im Atelier war es kalt. Ich kniete mich vor dem Gasheizer nieder, um Feuer zu machen. Nervös hantierte ich mit feuchten Streichhölzern herum, fürchtend, daß sie gehen würde. Dann aber spürte ich ihre Hand im Nacken. Sie hatte sich schon ausgezogen und lotste mich in Richtung Bett, auf ihre vollen, kühlen Brüsten zu, die gespreizten Schenkel. Ich achtete nicht auf die Kälte in ihrem Schoß, der so kalt und süß war wie ihr Mund. Wie rückständig romantisch doch Metaphern sind! Denn es ist das über Jahrhunderte in Liedern gescholtene Fleisch, das den Geist ans Licht führt. Unter unserer Nacktheit entdeckten wir noch mehr Nacktheit, ein sich einander Begegnen und Öffnen, bis wir zusammen schwebten wie Wesen, die nicht allein, sondern nur gemeinsam schweben können; und das nackte Fleisch geht dorthin, wo erst kurz zuvor unsere nackten Geister gewesen sind. Was wir miteinander trieben, war mehr als Liebe.
»Weiß er Bescheid?« fragte ich nachher, als wir im Dunkeln lagen. Ich mag die Dunkelheit; sie schafft Gleichheit.
»Was soll wer wissen?«
»DeCandyle. Wer sonst?«
»Was ich tue, geht ihn nichts an«, antwortete sie. »Und was er weiß, braucht dich nicht zu kümmern.« Damit war unser erstes und längstes Gespräch beendet. Ich schlief sechs Stunden lang, und als ich erwachte, war sie fort.
»Hat sich doch herausgestellt, daß ich auch einen Freund in Berkeley habe«, sagte meine Ex, als sie am Donnerstag kam, um mir Nachschub an Mikrowellenkost zu bringen. Bullen haben überall Freunde; zumindest halten sie diese für Freunde.
»DeCandyle war im medizinischen Institut, bis man ihn wegen Drogenhandels vor die Tür gesetzt hat. Die andere hat vergleichende Literaturwissenschaften belegt, ist aber schon nach dem zweiten Semester rausgeflogen. Man hat ihr zwar nichts nachweisen können, aber es scheint, daß sie Studenten mit Drogen köderte für irgendwelche Experimente. Es soll sogar einen Todesfall gegeben haben. Ein anderer Freund von mir will für mich die Promotionsakten sichten.«
»Dumm diedel dumm dei«, entgegnete ich.
»Ich nenne dir nur ein paar Fakten, Ray. Wie du damit umgehst, bleibt einzig und allein dir überlassen.« Sie kiebitzte wieder in meinen Arbeiten herum. »Schön, daß du wieder Berge malst. Die verkaufen sich doch immer noch am besten. Und was haben wir hier? Pornographie?«
»Auge des Betrachters«, sagte ich.
»Unsinn. Findest du nicht, daß das für die Natural Geographic ein bißchen zu… gynäkologisch ist? Ich weiß, daß sie gelegentlich Titten abbilden, aber…«
»Es heißt nicht Natural, sondern National«, erwiderte ich. »Und bitte tu mir einen Gefallen.« Ich deutete mit einem Nicken in Richtung ihres Partners, der im Türrahmen stand und dummerweise glaubte, daß er mir unentdeckt bliebe, wenn er sich nur nicht bewegte. »Solange du und dein Freund Sergeant Friday spielen, könntest du einen weiteren Namen für mich überprüfen.«
Montag sollte ich die ersten Gemälde der Reihe abliefern. DeCandyle schickte einen gemieteten Lieferwagen vorbei, um mich abzuholen. Ich kannte den Fahrer. Er war Laienprediger vor Ort und fanatischer Abtreibungsgegner. Ich gab acht darauf, daß meine Gemälde beim Einladen zugedeckt blieben.
»Sie arbeiten, wie ich höre, für die Höllen-Docs«, sagte er.
»Von wem sprechen Sie? Ich unterziehe mich einer Behandlung«, log ich. »Ich bin blind, wie Ihnen aufgefallen sein dürfte.«
»Sei’s drum«, meinte er. »Man munkelt, die schicken einen Mann und eine Frau in die Hölle. Eine Art neuer Adam und neue Eva.«
Er lachte; ich nicht.
»Hervorragend«, schwärmte DeCandyle, als er in seinem Büro die Bilder auspackte. »Wie ist das bloß möglich? Eine Skulptur läßt sich erfühlen; das könnte
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