Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
heraus.
Rita streckte ihnen die Kuchenplatte entgegen und schaute von einem zum anderen.
»Die Polizei geht davon aus, dass sie ermordet wurde.«
Axel drehte sich blitzschnell zu ihr um.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe eine Freundin, deren Tochter bei der Zeitung, bei VG , arbeitet. Die wissen über solche Sachen ja immer Bescheid. Die Polizei glaubt, dass Hilde Paulsen während ihres Ausflugs jemand begegnet ist oder dass ihr jemand im Wald aufgelauert hat.«
Sie schauderte, wodurch die Kuchenplatte fast vom Tisch fiel.
Gegen vier Uhr klopfte Miriam an die Tür des Behandlungszimmers und streckte ihren Kopf herein.
»Ich habe den Bericht fertig geschrieben.«
Axel schaute sie fragend an.
»Die Frau, die von hinten angefahren wurde …«, erinnerte sie ihn. »Die vielleicht ein Schleudertrauma hat.«
»Ich sehe es mir an, bevor ich gehe.«
Sie blieb stehen.
»Sie wirken heute so nachdenklich.«
Er strich sich die Haare aus der Stirn. Dann erst blickte er auf und schaute sie an.
»Kommen Sie doch kurz rein, und setzen Sie sich«, sagte er schließlich.
Sie schloss die Tür hinter sich.
»Tut mir leid, wenn Sie …«, begann sie. »Ich meine, worüber wir am Mittwoch gesprochen haben.«
Ihre Augen waren größer, als er sie in Erinnerung hatte, oder war sie heute nur anders geschminkt? Unter dem Arztkittel trug sie ein T-Shirt mit großen, glitzernden Buchstaben.
»Steht da eine geheime Botschaft auf Ihrem Oberteil?«, fragte er lächelnd.
Sie errötete und zog den Kittel enger um sich zusammen.
»Das habe ich von einer Freundin zum Geburtstag bekommen. Ich hatte kein anderes mehr.«
»Darf ich mal sehen?«
Zögernd öffnete sie ihren Kittel. Er ließ seinen Blick über die großen geschwungenen Buchstaben gleiten, die quer über ihre Brust verliefen.
»M-i-r-i-a-m«, las er. »Heute passt es gut, Miriam. Mit einer Tasse Kaffee, meine ich.«
Als sie hinten im Taxi saßen, sagte er:
»Es stimmt, dass ich heute über vieles nachgedacht habe.«
Er ließ sich in das weiche Polster zurücksinken.
»Die Frau, die vermisst wird … ich bin ihr am Tag ihres Verschwindens begegnet. Vielleicht bin ich der Letzte, der sie lebend gesehen hat.«
Er erzählte erst weiter, als er in ihrer Wohnung auf dem Sofa saß. Das Zimmer hatte eine integrierte kleine Küche und eine Nische, in der sich, wie er annahm, Miriams Bett befand. Während sie Teller und Tassen auf den Tisch stellte, erzählte er von seiner Begegnung mit der vermissten Frau im Wald. Aus unerfindlichen Gründen gab er ihr Gespräch Wort für Wort wieder, zumindest soweit er sich daran erinnerte. Auch dass ihm durch den Kopf gegangen war, dass es nur wenige Frauen gab, die sich zu so später Stunde noch allein in den Wald wagten.
Miriam schenkte ihm Kaffee ein. Er nippte daran und tippte auf Blue Java.
»Der Kaffee schmeckt ausgezeichnet. Und ich würde mich als Experten betrachten.«
Sie schien von den Dingen gefesselt zu sein, die er ihr gerade erzählt hatte.
»Bevor Sie ihr begegnet sind«, rekapitulierte sie, während sie sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches gleiten ließ, »haben Sie also in einem einsamen Weiher gebadet und sind dann auf diese verborgene kleine Hütte gestoßen, die ein Dach aus Tannenzweigen hatte …«
»Ach, ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle, Miriam.«
»Machen Sie sich darüber nur keine Sorgen.«
Jedes noch so kleine Detail schien sie zu interessieren. Das gab allem eine größere Bedeutung, als er selbst darin sah. Er stellte sich vor, sie mit in den Wald zu nehmen. Zum Weiher und zu der kleinen Hütte. Ihm gefiel diese Vorstellung. Fast hätte er es ausgesprochen. Stattdessen begann er von seinem Leben zu berichten, zu dem er bald zurückkehren würde. Von Reitstunden und Fußballtraining, den gemeinsamen Mahlzeiten, von Marlen, Tom und Daniel, der ein Studium in New York begonnen hatte, und von Bie, die als Journalistin für eine Modezeitschrift arbeitete, bei der sie einst als Redakteurin begonnen hatte. Er erzählte diese Dinge, um die entstandene Spannung abzubauen, und er spürte, dass ihm das gelang.
»Sie gehören zu den Menschen, denen man sich gerne anvertraut. Wissen Sie das, Miriam? Wären Sie bei der Polizei, würden Sie sicherlich vielen ein Geständnis entlocken.«
Sie blickte aus dem Fenster ihrer Dachgeschosswohnung.
»So ist es schon immer gewesen. Die Geschichten, die ich höre, leben in mir weiter. Und manchmal dauert es lange, bis
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