Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
nicht verraten, und du wirst mich nicht verraten!
Auch wenn sie nicht spielten, spürte Axel, dass er auf den Bruder achtgeben musste. Niemand sonst würde das tun. Jedes Mal, wenn Brede etwas ausgefressen hatte, sprachen die Eltern darüber, dass sie ihn nicht länger hierbehalten konnten. Axel begriff, dass diese Drohung Brede dazu bringen sollte, sich zusammenzunehmen. Nie im Leben hätte er sich vorstellen können, dass die Eltern es ernst meinten … Brede war nicht in der Lage, sich zusammenzureißen. Eine Woche, nachdem Balder erschossen worden war, schickten sie ihn weg.
Er saß mit Marlen auf dem Sofa und spielte Buzz Jungle Party, als Bie gegen halb zwei auftauchte. Sie blieb in der Wohnzimmertür stehen und betrachtete sie. Axel war immer noch in Boxershorts und T-Shirt, Marlen im Nachthemd.
»Hier seid ihr also.«
»Stör uns nicht, Mama, wir arbeiten.«
»Ach so, ihr arbeitet.«
»Weißt du denn nicht, dass Kinder arbeiten, wenn sie spielen?«
»Ja, das stimmt wohl. Aber was ist mit Papa? Er ist ja kein Kind, zumindest nicht richtig.«
»Papa hat frei. Ich bin die Einzige, die arbeitet.«
Bie stellte sich hinter sie und folgte eine Weile dem Geschehen auf der Mattscheibe. Dann beugte sie sich zu ihnen hinunter, umarmte sie beide und drückte sie gegen ihre Wangen. Axel streckte den Arm nach hinten und ließ seine Hand unter ihren Morgenmantel gleiten. Darunter war sie immer noch nackt.
»Du bist mir einer«, flüsterte sie in sein Ohr.
»Hört auf zu flüstern!«, protestierte Marlen.
»Ich hab nur zu deinem Vater gesagt, dass er gut aussieht.«
»Du lenkst ihn bloß ab«, jammerte sie, »siehst du, jetzt hat er ein Leben verloren. Das geschieht ihm recht.«
Bie gab auf und verschwand in der Küche. Kurz darauf rief sie:
»Hast du die Zeitung gelesen, Axel?«
»Mehr oder weniger.«
Sie hielt sie ausgestreckt vor sich, als sie wieder hereinkam.
»Hast du das mit der vermissten Frau gelesen?«
Er ließ den Bildschirm nicht aus den Augen.
»Hast du gesehen, um wen es sich handelt?«, fragte sie. »Um Hilde Paulsen, meine Physiotherapeutin.«
Erst jetzt reagierte er, stand auf und ging zu ihr. Mit zusammengekniffenen Augen las er die Schlagzeile, auf die sie zeigte.
Er rief die Polizei an. Erklärte, worum es ging. Bekam eine Frau mit ausgeprägtem Stavangerdialekt an den Apparat. Noch dazu sprach sie ungewöhnlich laut.
»Um wie viel Uhr sind Sie ihr begegnet?«
Axel dachte nach. Ungefähr um halb fünf war er am Blankvann gewesen. Mit dem platten Reifen hatte er vielleicht zwanzig bis dreißig Minuten gebraucht, bis er Ullevålseter erreichte. Er hatte erst wieder um Viertel nach sechs auf die Uhr gesehen, als er am Sognsvann angelangt war.
»Welchen Eindruck hat sie auf Sie gemacht, ich meine, mental?«
Axel hielt den Hörer ein Stück weit vom Ohr weg.
»Mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Sie wirkte völlig normal.«
Er wusste, worauf die Polizistin hinauswollte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass sie psychische Probleme gehabt hatte. Eine Frau mit Trainingsanzug und Nordic-Walking-Stöcken. Sie war stehen geblieben, um mit ihm über einen Patienten zu reden. Sie hatte an einen alten Mann mit Rückenschmerzen gedacht, nicht daran, sich das Leben zu nehmen.
12
Montag, 1. Oktober
R ita schenkte ihnen Kaffee ein.
»Sie wollte nur einen Ausflug machen«, sagte sie, während sie den Kuchen anschnitt, den sie am Wochenende gebacken hatte. »Und seitdem hat sie niemand mehr gesehen.«
Jeden Freitag, manchmal auch montags, brachte Rita irgendwelche Leckereien von zu Hause mit, und mehr als einmal hatte Inger Beate von ihm wissen wollen, wie man Rita darauf ansprechen könne, ohne sie zu verletzen, denn sie konnten ja nicht ständig Kuchen in sich hineinstopfen. Axel hatte über ihre Besorgnis gelacht und geantwortet, das sei dem Ideenreichtum jedes Einzelnen überlassen.
»Und wisst ihr, wer sie ist?«
»Sollten wir das wissen?«, fragte Inger Beate, den Mund voller Salat. Axel wusste, dass sie mit ihm noch über einen Patienten sprechen wollte, das aber nicht tun würde, solange Miriam anwesend war. Er beschloss, Inger Beate am Ende des Tages in ihrem Zimmer einen Besuch abzustatten.
»Ihr kennt sie beide«, sagte Rita.
Inger Beate blickte zu Axel hinüber, der seinen Kopf abgewandt hatte.
»Jetzt sag schon, Rita!«, forderte Inger Beate sie irritiert auf.
»Hilde Paulsen, die Physiotherapeutin aus Majorstua.«
»Ist das wahr?«, brach es aus Inger Beate
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