Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
gewesen wäre. Ein Fahrradfahrer war an ihm vorbeigeschossen, ebenfalls an der Nordmarkskapelle. Und nachdem er Hilde Paulsen getroffen hatte, waren ihm noch jede Menge Freizeitsportler und Ausflügler, mit und ohne Hunde, über den Weg gelaufen, die Ullevålseter ansteuerten oder das Ausflugslokal gerade verlassen hatten. Außerdem waren ihm drei Frauen mit Kopftüchern und langen Mänteln aufgefallen, als er sich dem Sognsvann genähert hatte, vermutlich Türken, vielleicht Kurden. Eine von ihnen hinkte und schien einen Hüftschaden zu haben. Direkt hinter ihnen ging ein ehemaliger Nachrichtensprecher des Fernsehsenders NRK, der inzwischen eine eigene Fernsehshow bei einem anderen Sender hatte und fraglos als prominent gelten durfte. Und beim Parkplatz am See war ein Fahrradfahrer mit einem Kinderanhänger an ihm vorbeigefahren. Da war es bereits dunkel gewesen, und er hatte sich gefragt, ob es nicht ein wenig spät sei, ein kleines Kind in den Wald mitzunehmen. Warum er selbst zu Fuß gegangen sei, obwohl er sein Fahrrad dabeihatte? Er berichtete von seinem platten Hinterreifen und seinem späteren Bad im Weiher. Von der provisorischen Waldhütte mit dem Dach aus Tannenzweigen erzählte er nichts. Er wusste nicht, warum. Wusste nur, dass die Hütte ihn an Brede erinnerte. Und Brede gehörte nicht hierher.
»Wo waren Sie am letzten Donnerstagnachmittag?«, wollte Viken wissen. In Bezug auf Axels Antwort bemerkte er trocken:
»Aha, schon wieder eine Fahrradtour. Ich dachte immer, Ärzte würden rund um die Uhr arbeiten. Waren Sie allein?«
Axel war gekommen, um sein Wissen über zwei ermordete Frauen weiterzugeben, nicht, um über sein Privatleben Rechenschaft abzulegen. Er überlegte kurz und entschied sich dann, dass auch Miriam in diesem Zusammenhang keine Rolle spielte.
»Ja«, antwortete er und spürte in diesem Moment, dass er mit seiner Lüge eine Grenze überschritt. »Ich war allein.«
29
V iken stapelte die Take-away-Pappschachteln von China Dragon auf einen Teller und schob diesen beiseite, während er auf TV2 umschaltete. Dort wurde gerade eine erregte Diskussion darüber geführt, ob man tatenlos zusehen sollte, wie lebensgefährliche wilde Tiere inzwischen schon in die Städte eindrangen. Die Morde wurden mit keinem Wort erwähnt, aber die Sendung machte sich die allgemein entstandene Verunsicherung zunutze. Viken schaltete um. Eine Wüste bei Sonnenuntergang, offenbar Marokko. Er sah sich eine Zeitlang die Sendung an, ehe er eine DVD holte, die er sich von der Arbeit mitgenommen hatte. Bis jetzt hatte er – abgesehen von einem kurzen Fernsehausschnitt – noch keine Gelegenheit gehabt, sich die Pressekonferenz noch mal anzusehen, die sie am Montag abgehalten hatten. Alle öffentlichen Auftritte wurden aufgezeichnet und die DVDs später den beteiligten Personen ausgehändigt. Der Umgang mit den Medien wurde als genauso wichtig erachtet wie die Polizeiarbeit selbst.
Die Pressekonferenz war vom Polizeipräsidenten geleitet worden, was die Wichtigkeit des Falles deutlich machte. Er hatte wie üblich seine Paradeuniform angelegt und strotzte nur so vor Selbstgerechtigkeit. Viken verdächtigte ihn, seine sorgsam frisierten Haare zu färben, damit auch ja kein einziges graues Haar zu erkennen war. In Anlehnung an den selbstverliebten Wachtmeister aus Die Räuber von Kardemomme wurde er von jüngeren Kollegen hinter vorgehaltener Hand meist Bastian genannt.
Agnes Finckenhagen war es gewesen, die Viken um seine Teilnahme gebeten hatte. Er hatte längst festgestellt, dass auch sie es liebte, im Rampenlicht zu stehen, doch war ihr angesichts der geballten Medienpräsenz offenbar wohler zumute, wenn sie ihn in ihrer Nähe wusste. Sie hatte nach dem Polizeipräsidenten das Wort ergriffen, und Viken musste zugeben, dass sie gar keine schlechte Figur machte. Sie stellte die Vorgänge verständlich dar und beantwortete die Fragen zur allgemeinen Zufriedenheit. Manche leitete sie an ihn weiter. Dann wurde rasch klar, dass er sich knapper und präziser ausdrückte als sie. Ein solches Verhalten durften die Leute auch von der Polizei erwarten, dachte er.
Seinen großen Auftritt hatte er allerdings gegen Ende der Pressekonferenz. Neben schwedischen und dänischen Journalisten waren auch Berichterstatter aus Frankreich und Dänemark sowie ein deutsches Fernsehteam anwesend. Obwohl immer wieder ausdrücklich dementiert wurde, dass ein Braunbär im Zentrum einer europäischen Hauptstadt sein Unwesen trieb,
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