Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Tag ihres Verschwindens im Wald begegnet zu sein. Sie notierte ihre Namen auf einem Block. Die letzte gesicherte Beobachtung stammte von einem Arzt namens Axel Glenne, der sie ein paar Tage später angerufen hatte. Sie lehnte sich nachdenklich zurück. Irgendetwas war ihr aufgefallen, ohne dass sie hätte sagen können, was es war. Sie ließ ihren Blick konzentriert über die Haselnussbaumallee und die Häuserdächer von Grønland wandern. Dann weckte sie ihren Computer auf, der schon wieder im Ruhezustand versunken war, und scrollte sich im Schnelldurchlauf durch das Dokument. Suchte die Angaben von Cecilie Davidsens Ehemann. Er war aufs Revier in Majorstua gekommen, um eine Aussage zu machen. Hendrik Davidsen hatte Alarm geschlagen, da seine Frau nach einem Termin im Krankenhaus nicht nach Hause gekommen war. Telefonisch hatte er sie auch nicht erreichen können. Sie hatte erst kürzlich erfahren, dass sie an Krebs erkrankt war, und sollte wenige Tage später operiert werden. Die Prognose war nicht gut. Er fürchtete, sie könne sich unter Schock etwas angetan haben. Und jetzt wusste Nina auch, wonach sie suchte: nach dem Namen des Arztes von Cecilie Davidsen. Ihrem Ehemann zufolge war er ihr eine große Hilfe gewesen. Sein Name war Axel Glenne.
27
Dienstag, 16. Oktober
S eit den frühen Morgenstunden hatte es geschneit. Vollkommen überraschend, selbst für die Meteorologen, die Regen angekündigt hatten.
Signy Bruseter stand auf den Stufen vor dem Haus und ließ ihren Blick missmutig über die weiße Landschaft schweifen. Sie mochte den Winter nicht, der für ihren Geschmack viel zu lang andauerte, und jetzt schneite es bereits heftig, obwohl es erst Mitte Oktober war. Ihr Haus lag am Ende einer Hofzufahrt, fast zwei Kilometer von der Straße entfernt. Der Bauer, der im Winter den Weg räumte, war zuverlässig, doch was sollte sie tun, wenn er krank wurde? Oder wenn sein Traktor mal in die Werkstatt musste? Beim Gedanken, hier mutterseelenallein am Waldrand festzusitzen, schauderte sie, und sie bereute es zutiefst, hierhergezogen zu sein. Sie zog den Schal enger um ihren Hals, trippelte über den Hofplatz und öffnete das Garagentor. Ihre Winterreifen hatte sie bei der Tankstelle in Åmoen deponiert. Sie kannte den freundlichen Besitzer, der ihr stets zu Diensten war. Jetzt musste sie irgendwie bis zur Straße kommen und von dort aus die sieben Kilometer bis zur Esso-Tankstelle hinter sich bringen.
Glücklicherweise gab es nur leichten Schneefall, und der Boden war noch nicht gefroren. Trotzdem rollte sie im ersten Gang bis zur Straße. Im Radio wurde erneut über die beiden Todesfälle in Oslo berichtet. Eigentlich wollte sie nichts mehr darüber hören, konnte sich jedoch nicht dazu überwinden, das Radio auszuschalten. Angeblich gab es noch keine Verdächtigen. Dann wurde ein Interview mit jemand von der Polizei gesendet, mit einer Frau Finken irgendwas.
»Wir gehen einigen Hinweisen nach, die wir bekommen haben, und möchten die Bevölkerung weiterhin zur Zusammenarbeit aufrufen.« Signy gefiel ihre spitze Stimme nicht.
»Wir gehen davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Fällen besteht. Und mit Sicherheit ist keine der beiden Frauen einem Bären zum Opfer gefallen«, sagte sie in selbstgewissem Ton. »Die in diesen Tagen mancherorts erhobene Forderung, Südnorwegen müsse ein bärenfreies Gebiet bleiben, geht also völlig an den Tatsachen vorbei.« Als Nächstes wurde darüber berichtet, dass im Irak eine Autobombe explodiert sei. Signy stellte das Radio ab und starrte die weißen Flocken an, die gegen die Windschutzscheibe getrieben wurden. Denen läuft alles aus dem Ruder, dachte sie genervt. Die wissen nicht, was sie tun sollen. Sie hatte in der Nacht wach gelegen. Kaffee und Brot gingen zur Neige, doch ihr blieb keine Zeit, einzukaufen. Sie hatte noch eine zusätzliche Schicht übernommen. Mette Martin war immer nett und freundlich, doch gab sie deutlich zu erkennen, dass sie stets damit rechnete, dass Signy einsprang, wenn Not am Mann war. So war es eben, wenn jemand allein lebte und sich sonst um niemand kümmern musste. Die Nachmittagsschichten lagen äußerst ungünstig, denn danach war sie erst um acht Uhr zu Hause und hatte keine Lust mehr, sich etwas zu essen zu machen. Dann wärmte sie sich allenfalls ein bisschen Spinatsuppe auf. Kochte sich zwei Eier dazu.
Roger Åheim, der Tankstellenbesitzer, war jemand, den Signy, ohne zu zögern, als herzensguten Kerl bezeichnet
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