Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
einmal Angst davor. Alles ist so weit weg, auch dieser Abend hier.«
Sie schaute ihn unentwegt an.
»Ich konnte es damals nicht sagen, war wohl zu überrascht, aber … danke, dass Sie gekommen sind.«
Er ging davon aus, dass sie die Beerdigung meinte. Murmelte so etwas wie, das sei doch selbstverständlich.
»In jener Nacht …«, fuhr sie tonlos fort. »Ich weiß, dass Sie es auch anderen hätten überlassen können, uns zu informieren. Es fällt mir schwer, meinen Dank auszudrücken, aber ich will, dass Sie es wissen. Es war gut, dass Sie es waren, der uns benachrichtigt hat.«
Er schaute sie an. Ingrid Brodahl hatte immer etwas Unnahbares an sich gehabt, dachte er. Einen ironischen Unterton, der die Leute auf Distanz hielt. Jetzt schien es so, als sei die Welt über sie hereingebrochen und hätte alles mit sich fortgerissen.
Sie legte die Hand auf seinen Arm.
»Erzählen Sie mir, wie Sie sie gefunden haben.«
Er holte tief Luft, spürte dieselbe Unsicherheit wie in jener Nacht.
»Liss …«, begann er kaum hörbar.
Doch dann begann er zu erzählen. Dass sie nicht im verunglückten Fahrzeug gewesen und er am Straßengraben entlanggegangen war, um sie zu suchen. Als er sagte, dass sie auf den ersten Blick so ausgesehen habe, als ob sie schliefe, schlossen sich ihre Finger um sein Handgelenk. Für einen Augenblick fürchtete er, Ingrid Brodahl könne die Fassung verlieren. Sie holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und drückte es sich gegen die Nase.
In diesem Moment vibrierte das Handy in seiner Tasche.
»Wenn Sie wollen, werde ich die nächsten Tage mal bei Ihnen vorbeischauen. Dann können wir in Ruhe darüber reden.«
Ohne aufzublicken, sagte sie:
»Ich bin froh, dass es Menschen wie Sie gibt. Die sorgen dafür, dass alles irgendwie weitergeht.«
*
Auf dem Rücksitz des Taxis schmiegte Bie sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust. Er schlang den Arm um sie und küsste sie auf die Stirn. Ihre Haare rochen nach Rosen und Rauch. Er strich ihr über die Wange und zeichnete mit einem Finger die Linie ihrer Lippen nach. Sie sog ihn in den Mund und biss zu.
»Sind Sie sehr müde, Doktor Glenne?«, fragte sie, öffnete ein paar Hemdknöpfe und ließ eine Hand auf seine nackte Brust gleiten.
»Ich schlafe schon.«
Ihre Hand bewegte sich langsam nach unten und glitt unter den Bund seiner Hose.
»Oh, hier ist aber jemand hellwach!«
»Stimmt«, musste er zugeben. »Der macht mal wieder, was er will.«
»Solcher Ungehorsam muss bestraft werden«, gurrte sie.
Sie hatten das Haus für sich allein. Er zog sich aus und setzte sich an den kleinen Tisch in der einen Ecke des Schlafzimmers, das Kognakglas in der Hand. Nahm die Fernbedienung und stellte irgendeine Klaviermusik an, die noch im CD-Player lag. Sie kam aus dem Badezimmer und stellte sich vor ihn hin. Trug nur ihren durchsichtigen Stringtanga.
»Seit wann rasierst du dich eigentlich?«, wollte er wissen, sich immer noch beherrschend.
Sie hob abweisend ihr Kinn, und diese Bewegung schien etwas in ihm auszulösen. Mit einem Satz war er auf den Beinen, packte sie und zog sie zum Bett. Sie hatten irgendwo ein Paar Handschellen liegen, die lange nicht in Gebrauch gewesen waren, und er war auch nicht sicher, wo er sie versteckt hatte. Stattdessen schnappte er sich seinen Seidenschlips, band ihre Handgelenke zusammen und befestigte das andere Ende am Bettpfosten. Als er ihre Beine auseinanderriss, schnellte sie nach vorn und biss ihn in die Schulter.
»Komm schon!«, fauchte sie.
Er tastet sich einen Gang entlang, der nur von kleinen, blauen Lampen erhellt wird, die in den Boden eingelassen sind. Auf einem Türschild liest er den Namen Viktor. Die Tür öffnet sich. Es ist ein Vernehmungsraum. Darin sitzt der Kommissar, doch sein Name ist nicht Viktor.
»Wir haben auf dich gewartet, Brede.«
Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Sie müssen damit aufhören, ihn Brede zu nennen. Damit wird er sich nicht länger abfinden. Der Kommissar packt ihn am Arm und führt ihn in ein anderes Zimmer, einen langen Saal, in dem sich eine große Leinwand befindet.
»Wir haben ihn gefilmt. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir ihn filmen konnten.«
Vier oder fünf Personen sitzen in der ersten Reihe. Ansonsten ist der Raum leer. Eine von ihnen dreht sich um. Sie ist von grünlichem Licht umgeben. Es ist seine Mutter.
»Ich bin stolz auf dich, Axel. Sehr stolz auf dich.«
Er ist erleichtert, dass sie ihn wiedererkennt, und will sie bitten, die
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