Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
notwendig.«
Als Norbakk nichts erwiderte, fügte er hinzu: »In unserem Job kommt es vor allem darauf an, systematisch vorzugehen. Das habe ich dir gepredigt, seit du von der Hochschule abgegangen bist. Trotzdem darfst du nie deine Intuition außer Acht lassen, Arve. Die meisten Fälle werden mit dem Bauch aufgeklärt, ob uns das nun passt oder nicht.«
Er hielt sich die Hand auf seinen eigenen Bauch, in dem es rumorte und grummelte wie an einem schwülen Spätsommertag. Vielleicht protestierte er gegen die Rolle, die ihm zugedacht worden war.
49
Z um zweiten Mal erwachte Axel Glenne auf Ritas Sofa. Er schaute auf seine Armbanduhr, dachte, sie sei stehengeblieben, aber die Wanduhr zeigte dieselbe Zeit, und durch das Wohnzimmerfenster drang das Nachmittagslicht herein.
Er hatte Rita nicht gesagt, dass er noch einmal wiederkommen wollte, doch als er einen Blick in die Küche warf, sah er, dass sie für ihn gedeckt hatte. Neben dem Teller lag ein Zettel: »Alles, was du brauchst, findest du im Kühlschrank und im Küchenschrank rechts daneben.«
Er trank zwei Gläser kalten Orangensaft, machte sich ein Müsli und setzte Kaffee auf. Blätterte in Aftenposten : »Polizei verfolgt neue Spur im Fall der Bärenmorde.« Auf Seite vier sah er das Phantombild einer Person, mit der die Polizei in Kontakt kommen wollte, mit einem Mann, der am Morgen den Tatort verlassen hatte.
»Sehe ich wirklich so aus?«, murmelte er. Ein breites Gesicht und lockige Haare, die in die Stirn hingen.
Er nahm seine Kaffeetasse mit ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa, schaltete sein Handy ein. Keine Nachricht von Miriam, drei von Bie. Er hörte seine Mailbox ab und begnügte sich mit der ersten Nachricht: »Die Polizei ist hier gewesen und hat nach dir gefragt. Sie wollten wissen, wo du warst, als deine Patientin verschwunden ist. Sie haben sich unsere Fotoalben angeguckt und sich ausführlich nach Brede erkundigt. Sie scheinen sich zu fragen, ob es Brede überhaupt gibt. Es war schrecklich. Komm bitte nach Hause, Axel, schnell!«
Er schickte eine Antwort: »Komme heute Abend.« Wollte nicht daran denken, wie der Abend verlaufen würde. Wie es sein würde, als untreuer Ehemann nach Hause zurückzukehren. Als Familienvater, der von der Polizei gesucht wurde. Du bist ein guter Junge, Axel. Aus dir wird einmal jemand werden, der für das einsteht, was er tut. Er hatte eine Grenze erreicht. Wenn er sie überschritt, würde er alles verlieren. War er deshalb immer noch nicht nach Hause zurückgekehrt? Wollte er sich von allem trennen? Wollte er Bie so verletzen, dass sie ihn nicht mehr zurückhaben wollte? Dass sie das tun musste, wozu er selbst nicht imstande war, nämlich in ein neues Leben aufzubrechen? »You must be a very happy man.«
Er wartete eine weitere halbe Stunde, ehe er Miriam anrief. Hätte fast wieder aufgelegt, als sie sich endlich meldete.
»Ich vermisse dich«, sagte er.
Sie schwieg.
»Miriam?«
»Warum bist du gestern verschwunden?«
Ihre Stimme hatte einen Klang, der ihm nicht vertraut war.
»Hättest du nicht bleiben und mit der Polizei reden können?«
Sie hatte recht. Er war feige.
»Sie haben herausgefunden, dass jemand in der Nacht bei mir war. Ich musste ihnen schließlich sagen, dass du es warst.«
Er blickte aus dem Fenster. Im Nachbargarten stand ein Spielgerüst mit einer Schaukel und einer Rutsche aus orangefarbenem Plastik.
»Du hast allen Grund, böse auf mich zu sein.«
»Ich bin nicht böse auf dich, Axel. Ich habe Angst.«
»Das verstehe ich.«
»Nein, das tust du nicht.«
Zwischen den Dächern waren die Bäume des Friedhofs Nordre gravlund sowie ein Schornstein des Ullevål-Krankenhauses zu erkennen. Der hellgraue Himmel hatte einen goldenen Schimmer.
Ohne zu wissen, warum, fragte er:
»Hast du Angst vor mir?«
Er hörte, wie schwer sie atmete.
»Du musst zur Polizei gehen.«
Wenn er sich nicht meldete, würden sie bald sein Foto und seinen Namen veröffentlichen und nach ihm fahnden. Doch als er ihre Stimme hörte, war er außerstande, irgendetwas zu bereuen.
»Ich will dich noch einmal wiedersehen«, sagte er. »Dann gehe ich zur Polizei.«
»Es ist alles meine Schuld.«
»Was ist deine Schuld, Miriam?«
»Ohne mich wäre das alles nicht passiert.«
Sie ist es, die Reue empfindet, dachte er. Aber das will ich aus ihrem Mund nicht hören.
»Ich muss dich sehen.«
»Ich rufe dich heute Abend an«, murmelte sie.
»Bist du jetzt zu Hause?«
Sie zögerte, ehe sie sagte:
»Ich
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