Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
drei Frauen zu tun haben sollte. Vikens Hang zu ausgefallenen psychologischen Konstrukten war hinlänglich bekannt. Er hatte sie dazu gebracht, die Bücher von John Douglas und anderen zu lesen, die über die Erstellung von Mörderprofilen schrieben, und er stand in ständigem Kontakt zu einem erfahrenen Profiler, den er während seines oft zitierten Studienaufenthalts am Criminal Investigation Department in Manchester kennengelernt hatte. Erst kürzlich hatte er während der Mittagspause einen kleinen Vortrag über gespaltene Persönlichkeiten gehalten. Von norwegischen Psychologen und Psychiatern, die sich für kompetent hielten, hatte er eine geringe Meinung: »Besserwisser und Scharlatane, der ganze Haufen!«
Nina hatte bereits eine ganze Menge Informationen über die Familie Glenne zusammengetragen. Vibeke Frisch Glenne, genannt Bie, hatte Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert. In den achtziger und neunziger Jahren war sie Redakteurin der norwegischen Ausgabe von Anaïs gewesen. In den letzten Jahren hatte sie als freie Journalistin für verschiedene Frauenmagazine gearbeitet. Sie schrieb über Literatur, Reisen, Erotik, Mode und natürlich auch über Gesundheitsthemen. Nina hatte Fotos von ihr im Internet gefunden und festgestellt, dass sie eine äußerst attraktive Frau war. Die Einkünfte der Familie bewegten sich in einer Größenordnung, von der sie selbst nur träumen konnte, und von ihrem derzeitigen Vermögen hätten die Glennes sicher gut und gerne den Rest ihres Lebens bestreiten können. Axel Glenne arbeitete seit sechzehn Jahren als praktizierender Arzt und hatte sich offenbar nie etwas zuschulden kommen lassen. Drei Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsübertretung und eine wegen Alkohol am Steuer, allesamt über zwanzig Jahre alt – das war alles, was sie herausgefunden hatte.
Sie las den Bericht, den Arve Norbakk über Miriam Gaizauskas verfasst hatte. Er hatte wie üblich gute Arbeit geleistet und nicht wenig zutage gefördert. Sie kam aus einem kleinen Dorf im Süden Litauens, katholische Familie. Die älteste von vier Geschwistern. Die Mutter war Ärztin, der Vater Marineoffizier in der ehemaligen Sowjetunion. Er kam bei einem U-Boot-Unglück in der Barentssee ums Leben, als Miriam acht Jahre alt war. Die Mannschaft wurde nie aus der Tiefe geborgen. Miriam zog vor sechs Jahren nach Norwegen, um in Oslo Medizin zu studieren. Danach wurden die Informationen spärlicher, und Nina dachte, dass sie vielleicht noch mehr herausbekommen hätte als Arve. Außerdem hatten sich ein paar kleine Fehler in seinen Bericht eingeschlichen.
Es war schon nach halb sieben, und ihr Magen knurrte. Seit dem Mittagessen hatte sie nur ein Knäckebrot zu sich genommen. Eigentlich nicht ungünstig, so viel zu tun zu haben, dass man keinen Gedanken ans Essen verschwendete, ging ihr durch den Kopf, doch es würde ein langer Abend werden, und sie sollte zumindest genug essen, um ihre Konzentration aufrechtzuerhalten. Für Arve würde es wohl ebenfalls ein langer Abend werden, warum sollten sie da nicht gemeinsam eines der Cafés aufsuchen, die sich in der Nähe befanden.
Er blickte auf, als sie den Kopf zur Tür hineinsteckte.
»Viel zu tun?«
Er schwieg. Schien auf Besuch nicht eingerichtet zu sein.
»Ich habe versucht herauszufinden, ob die alte Frau Glenne damals ein oder zwei Kinder bekommen hat«, sagte sie.
»Hat offenbar keinen Sinn, sie selbst zu fragen«, entgegnete er und schien mäßig interessiert zu sein.
»Ich habe das Pflegeheim angerufen, in dem sie wohnt. Angeblich bestreitet sie, überhaupt Kinder zu haben.«
»Verstehe«, sagte er mit zerstreutem Lächeln, doch so schnell gab Nina nicht auf.
»Ich hab mir übrigens mal deinen Bericht zu Miriam Gaizauskas angesehen.«
Das schien ihn mehr zu interessieren.
»Ich habe gerade an sie gedacht«, erwiderte er. »Glaubst du, dass ein einziger Mann zu ihrer Sicherheit ausreicht?«
Nina hatte sich das auch schon gefragt.
»Wir haben ihr einen Rufmelder angeboten, aber sie hat abgelehnt. Mehr können wir nicht tun.«
»Da hast du wohl recht. Außerdem wird ohnehin bald was Entscheidendes passieren.«
»Die Festnahme von Glenne?«
Arve Norbakk lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Darauf würde ich ein Monatsgehalt wetten.«
»Meinst du wirklich, dass genug gegen ihn vorliegt? Die Beweislage sieht noch ziemlich dürftig aus.«
Er sah ihr in die Augen, und sie bekam Lust, sich auf seinen Tisch direkt neben seine Hand zu
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