Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Schultern.
»Er hat gestern meine Mutter angerufen. Es hat mit seinem Bruder zu tun.«
»Mit dem Bruder deines Vaters?«
»Ja, seinem Zwillingsbruder.«
Viken gab acht, dass er nicht allzu neugierig wirkte.
»Dein Vater hat also einen Zwillingsbruder. Wie heißt der denn?«
»Brede.«
»Sehen sie beide völlig gleich aus?«
»Weiß nicht. Hab ihn nie getroffen.«
In diesem Moment tauchte Vibeke Glenne auf.
»Ach, hier sind Sie.«
Viken zwinkerte Tom zu.
»Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einmal die Gitarre Ihres Sohnes auszuprobieren. So ein edles Stück habe ich nie besessen. Besorg dir mal ein Album von Peter Green. Dann hörst du, was der aus einer Gibson alles herausholt.«
»Ein Album?« Tom stutzte.
»Du kannst dir die Songs natürlich auch aus dem Internet runterladen«, beeilte sich Viken zu sagen.
*
»Ihr Sohn hat mir erzählt, dass Ihr Mann einen Zwillingsbruder hat.«
Vibeke Glenne schenkte ihm Kaffee nach.
»Sie haben schon seit Jahren keinen Kontakt mehr miteinander. Brede ist Alkoholiker oder drogenabhängig, ich weiß nicht genau. Er war schon in den verschiedensten Einrichtungen untergebracht.«
»Ihr Sohn sagt, er sei ihm noch nie begegnet.«
Sie blickte in die Luft.
»Ich auch nicht.«
Vikens Gesicht legte sich in Falten wie ein zusammengeklappter Fächer.
»In über dreiundzwanzig Jahren?«
»Sie haben schon als Jugendliche den Kontakt zueinander abgebrochen. Brede wollte meinen Mann nicht mehr sehen. Es muss eine tief sitzende Eifersucht sein. Axel hat es schließlich weit gebracht im Leben. Aber Brede war immer alles völlig egal.«
Viken blieb nachdenklich sitzen, während Norbakk sich Notizen machte.
»Sie wissen also nicht, ob sie sich ähnlich sehen?«
»Sie sind eineiige Zwillinge. Außerdem kenne ich Kinderfotos von Brede. Es war vollkommen unmöglich, sie voneinander zu unterscheiden.«
»Könnten Sie mir diese Fotos zeigen?«
»Die Bilder aus der Kindheit? Hören Sie, ich weiß noch nicht einmal, warum Sie eigentlich …«
Sie hielt inne, stand auf und ging ins Nebenzimmer. Viken hörte, wie sie mehrere Schubladen aufzog. Kurz darauf kam sie mit drei, vier Fotoalben zurück.
»Hier. Aber entschuldigen Sie bitte, wenn ich nicht dazu aufgelegt bin, in alten Erinnerungen zu schwelgen.«
»Selbstverständlich.«
Die Bilder stammten aus der Frühzeit der Farbfotografie. Die Farben waren blass und vergilbt. Die Fotos zeigten Menschen beim Baden und am norwegischen Nationalfeiertag, dem siebzehnten Mai. Eine blonde Frau mit einem geflochtenen Zopf und ein viel älterer Mann, der Viken bekannt vorkam.
»Die Eltern Ihres Mannes, nehme ich an.«
Vibeke Glenne beugte sich über den Tisch.
»Das ist richtig. Er war zwanzig Jahre älter als sie, Widerstandskämpfer während des Zweiten Weltkriegs, später Richter am Obersten Gerichtshof.«
»Torstein Glenne?«, rief Viken, dem erst jetzt der Zusammenhang auffiel. »Ist Ihr Mann etwa der Sohn von Torstein Glenne?« Als sich sein Erstaunen gelegt hatte, blätterte er weiter und sah sich eine Seite mit Badefotos an, die an irgendeinem Fjord entstanden waren.
»Wo sind diese Bilder gemacht worden?«
Vibeke Glenne warf einen Blick darauf. »Bei unserem Sommerhaus in Larkollen. Das haben wir immer noch.«
Vikens Blick verengte sich. »Hat Ihr Sommerhaus einen Keller?«
»Nur einen Kriechkeller. Warum in aller Welt wollen Sie das wissen?«
Der Kommissar antwortete nicht.
»Wie alt ist das Haus?«
Vibeke Glenne hob das Kinn, was sie offenbar immer tat, wenn sie nachdachte.
»Es ist schon lange in Familienbesitz. Ich nehme an, seit Torstein Glennes Kinderzeit, also seit den zwanziger oder dreißiger Jahren.«
»Ist das hier Axel oder Brede?«
Viken hielt ihr eine aufgeschlagene Seite hin.
»Axel«, sagte sie.
»Zeigen Sie mir mal ein Foto von Brede?«
Sie deutete auf ein Bild, das sich weiter unten befand.
»Die sehen doch vollkommen gleich aus!«, protestierte Viken. »Woran können Sie die beiden unterscheiden?«
»Mein Mann hat mir erzählt, wer wer ist.«
Viken blätterte weiter. Immerzu die Eltern mit einem der Zwillinge.
»Gibt es denn überhaupt keine Fotos, auf denen beide Brüder zusammen drauf sind?«
Vibeke Glenne schaute ihn fragend an.
»Was spielt denn das für eine Rolle?«
Viken blätterte rasch alle drei Alben durch.
»Mit wem haben Sie über Brede gesprochen?«
»Mit wem? Eigentlich nur mit meinem Mann.«
»Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie niemals gehört haben,
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