Die Ballade der Lila K
servieren?«
Zunächst war er sprachlos, aber dann brach er in Lachen aus.
»Du bist wirklich immer für eine Überraschung gut, Lila!«
Er nahm den Teller und stellte ihn auf den Boden. Pascha stürzte sich sofort darauf.
»Aber … aber warum kriegt der Kater die feine Pastete?«
Fernand lachte erneut, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
»Ich mag es, wenn du Witze machst. Das bedeutet, du fühlst dich wohl.«
Da wurde mir klar, dass ich etwas gründlich missverstanden haben musste. Ich lachte kurz auf, um den Schein zu wahren, aber es wirkte viel zu nervös, um aufrichtig zu sein. Das bemerkte er gar nicht, umso besser. Rasch ließ ich den Blick durch die Küche schweifen, auf der Suche nach einem hilfreichen Hinweis. Und dabei sah ich die Dose. Zum Glück räumte Fernand gerade die dreckigen Teller in die Geschirrspülmaschine. So konnte er nicht sehen, was ich für ein Gesicht machte. Mit zitternden Händen hob ich die Dose hoch. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Das Bild kannte ich von früher: grüne Augen, rosa Schnauze und graues Fell. Damit hatte mich meine Mutter gefüttert.
Die Dose war leer. Am Rand klebte bloß noch ein bisschen Gelatine, mit winzigen Partikeln vom Fleischhappen, den Fernand auf den Teller gestürzt hatte. Behutsam fuhr ich mit dem Finger die Dosenwand entlang. Dann vergewisserte ich mich mit einem Blick, dass Fernand mir immer noch den Rücken zukehrte, und steckte den Finger in den Mund. Was das für ein Gefühl war, kann ich gar nicht beschreiben. Fast wäre ich in Ohnmacht gefallen.
Von da an hatte ich nur eines im Sinn: Ich wollte diesen unvergleichlichen, wohltuenden Geschmack wiederfinden, den ich so schmerzlich vermisst hatte, ich wollte ihn von neuem kosten. Und das war durchaus machbar. Dafür musste ich bloß eine Dose bei Lucienne und Fernand entwenden. Ich traute mich aber nicht. Ich war nicht in der Lage, ein solches Risiko einzugehen. Und so ließ ich es bei der fixen Idee bewenden und begnügte mich bei jedem Besuch damit, einen Abstecher in die Küche zu machen, um im Vorbeigehen an Paschas Teller zu riechen oder, falls möglich, ein paar winzige Reste aus einer leeren Dose zu klauben, die zufällig noch auf der Arbeitsplatte stand. Das war meine eigenwillige Neuinterpretation der Tantalusqualen, die ich heimlich, still und leise zur Aufführung brachte.
Zu Frühlingsbeginn wurde Lucienne schwanger. Sie haben es mir umgehend mitgeteilt. Das war ziemlich unvorsichtig, aber sie waren dermaßen glücklich, wie sie sagten, und hatten schon so lange auf diesen Moment gewartet. Ich habe den Umständen entsprechend reagiert.
»Glückwunsch!«
Schnell fügte ich hinzu:
»Was kann es Schöneres geben als das Geschenk des Lebens?«
Diesen Spruch hatte ich bereits seit Ewigkeiten parat, für den Fall, dass sich eine passende Gelegenheit ergäbe.
Erst als wir zu Tisch gingen, erkannte ich, wie stark Lucienne sich verändert hatte. Verschwunden war die zerbrechliche junge Frau, die lustlos im Essen herumstocherte und trübsinnig an ihrem Heuschreckenbein lutschte. Inzwischen aß sie für vier, ein richtiger Gierschlund, kaum hatte sie ihre Portion verputzt, bat sie um Nachschlag und sagte: Das ist gut fürs Baby. Und Fernand füllte ihr unaufhörlich den Teller nach, stopfte sie freudig voll, so freudig, dass es fast schon widerwärtig war.
Nach dem Mittagessen ließ Fernand uns wie üblich eine Weile im Wohnzimmer allein.
»Hast du gesehen, wie brav ich gegessen habe?«, fragte mich Lucienne mit leuchtenden Augen.
»Ja, Lucienne, das habe ich gesehen.«
»Damit er hier drinnen schön wächst und gedeiht!«
Ich nickte und versuchte, weiterhin wohlwollend dreinzublicken, während ich insgeheim einen unerklärlichen Ekel verspürte. Wir saßen einander gegenüber, ich in einem Sessel, sie auf dem Sofa, strahlend und heiter, beide Hände auf den Bauch gelegt. Sie wirkte so blühend, so erfüllt, so entrückt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich sie nicht mehr so gernhatte, nun, da sie glücklich war, und ich schämte mich so sehr für meine Missgunst, dass ich mich noch trauriger fühlte, noch einsamer.
Im Lauf des Nachmittags bekam Lucienne Lust auf gegrillten Tofu. Seit sie schwanger war, hatte sie oft solche Gelüste.
»Ich dachte, in den ersten drei Monaten ist einem ständig übel«, bemerkte ich.
»Bei Lucienne ist das anders!«, sagte Fernand, als handelte es sich dabei um eine reife Leistung.
Sie haben beide gelacht. Sie hatten so viel Spaß an
Weitere Kostenlose Bücher