Die Ballade der Lila K
sollten nach Möglichkeit befriedigt werden. Und da kommt der Sensor ins Spiel.«
Mein Problem war, dass ich nicht den leisesten Drang, nicht das kleinste bisschen Verlangen spürte. Absolut gar nichts. Vielleicht war ich dafür zu mager, oder es lag daran, dass es mir nicht die geringste Lust bereitete, mich anfassen zu lassen, zu essen oder Düfte zu riechen. Keine günstigen Voraussetzungen für blühende Sinnlichkeit. So oder so stand eines fest: Für mich gab es keine Notwendigkeit, mich ihres vibrierenden Gadgets zu bedienen, da konnte es noch so weich und ergonomisch sein. Aber das habe ich Fernand wohlweislich nicht auf die Nase gebunden. Mit einem solchen Eingeständnis hätte ich riskiert, dass er ein Heer von Psychiatern und Gynäkologen einschaltete, die sich teils über mein Vorleben und teils über meine Vagina beugen würden. Allein die Vorstellung verursachte mir Migräne. Da war es viel einfacher, Normalität vorzutäuschen. Ich habe den Sensor nachdenklich betrachtet und dann genickt.
»Sie haben recht, Fernand. Wenn mir so ein tolles Gerät zur Verfügung steht, sollte ich es auch ausprobieren. Es wäre schade, sich das entgehen zu lassen.«
Das Gesundheitsministerium riet zu zwei Orgasmen pro Woche, um ein optimales Gleichgewicht zu erzielen. Ich habe die Anordnung genauestens befolgt – jedenfalls habe ich so getan als ob: Abgesehen von einem eher unangenehmen Kitzeln ließ mich der Sensor völlig kalt. Vielleicht war ich nicht mit Leib und Seele bei der Sache. Wollte ich meinen Arsch retten, durften sie es aber nicht mitbekommen. Ich ahnte, welche Komplikationen sich ergeben würden, wenn sie mich für frigide hielten. Darum habe ich so getan als ob. Das war nicht schwer: Ich brauchte nur nachzuäffen, was ich im Sexualkundeunterricht vorgeführt bekommen hatte. Zweimal wöchentlich legte ich mich im Dunkeln ins Bett. Ich deckte mich sorgfältig zu, um mir ein Minimum an Privatsphäre zu bewahren. Danach schmierte ich meinen Sensor großzügig mit Gel ein. Ich schaltete die höchste Vibrationsstufe ein, und dann ab die Post: zehn bis fünfzehn Minuten Stöhnen und Keuchen, zum Schluss gekrönt von einem gigantischen Orgasmus, formvollendet vorgetäuscht und vorschriftsmäßig gefilmt von der Infrarotkamera, die in der Wand eingelassen war. Eigentlich ist es gar nicht so schwer, seinen Frieden zu haben.
Das Jahr verging wie im Flug. Mich beglückten die Sonntagsbesuche bei Lucienne und Fernand, mich beglückte vor allem die Wärme, die Lucienne mir entgegenbrachte. Sie sah längst nicht mehr so kränklich aus wie zu Beginn unserer Bekanntschaft. Sie hatte deutlich zugenommen, auch wenn sie schmal und zierlich blieb, und es ging ihr sichtlich viel besser. Noch nie hatte ihr Lachen so hell geklungen.
Eines Sonntags verkündete Fernand nach dem Mittagessen:
»Lila, es gibt wunderbare Neuigkeiten! Magst du es ihr sagen, Lucienne?«
Sie errötete leicht, dann schlug sie die Augen nieder und hauchte: »Lila, wir können jetzt ein Baby bekommen.«
Fernand fuhr fort:
»Die Psychiater haben uns endlich die Genehmigung für eine Befruchtung erteilt! Lucienne lässt sich das Implantat nächsten Donnerstag entfernen.«
Beide lachten und wechselten liebevolle Blicke. Ein Baby, nach so langem Warten, das war wirklich eine gute Neuigkeit. Ihretwegen hätte ich mich freuen sollen. Aber es verhielt sich genau umgekehrt: Ich war entsetzlich traurig. Fragen Sie mich nicht, warum, ich kann es mir selbst nicht erklären. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre Freude so offen zur Schau trugen, oder daran, wie er ihr beschützend den Arm um die Schultern legte, oder daran, wie sie seinen Arm berührte und dabei Liebling flüsterte – ich weiß es nicht. Kann man so etwas überhaupt benennen?
Als Nächstes sahen sie mich beide erwartungsvoll an. Ich wollte keine üble Spielverderberin sein. Also habe ich mich zusammengerissen und im Brustton der Überzeugung gesagt:
»Das ist ja phantastisch! Ich freue mich sehr für euch!«
Angesichts ihres strahlenden Lächelns wurde mir klar, dass ich das Richtige getan hatte.
Danach wollte Lucienne mir unbedingt das Kinderzimmer zeigen: die Wiege, das ganze Zubehör in den Regalen, die kleine Decke, die sie selbst mit einer Girlande aus Blumen und Vögeln bestickt hatte. Obwohl sie mir jeden Gegenstand voller Begeisterung erläuterte, die Helligkeit des Raums, die ansprechende Einrichtung pries, verspürte ich dasselbe Unbehagen wie beim ersten Mal. Alles war so
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