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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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sauber, so ordentlich, so keimfrei gehalten, dass es mir unwirklich und leicht morbide vorkam.
    Gerade hatten sie eine zweite Kamera neben der Wiege anbringen lassen.
    »Ein internes Überwachungssystem«, erklärte Lucienne. »Das bedeutet mehr Sicherheit für das Baby.«
    Ich nickte bedächtig.
    »An Schutzengeln wird es ihm nicht fehlen.«
    Sie lächelte und ging in die andere Zimmerecke.
    »Guck mal«, sagte sie, während sie ein paar Tasten an der Wand berührte.
    Ich sah, wie eine Schiebetür aufging und dahinter ein riesiger Einbauschrank zum Vorschein kam. Tief bewegt ging ich darauf zu.
    »Der ist ja gemütlich!«
    »Gemütlich?«
    Ich wurde ein wenig rot.
    »Ich wollte sagen: schön groß.«
    »Stimmt, groß ist er.«
    Ich bewunderte ihn ausgiebig. Wirklich, ein geräumiger und schöner Schrank – in dem man sich bequem der Länge nach ausstrecken konnte. Er roch muffig und leicht parfümiert. Die Bodenverkleidung schien weich zu sein. Und wie angenehm dunkel es dort sein musste, war die Tür erst wieder verschlossen!
    Plötzlich wurde ich von einer so heftigen Nostalgie übermannt, dass mir die Tränen kamen. Schnell schob ich mir die Sonnenbrille auf die Nase. Lucienne hatte nichts bemerkt, sie war zu sehr damit beschäftigt, mir die Leibchen und Strampler zu zeigen, die sich in ihren durchsichtigen Säckchen in den Fächern stapelten. Ich hörte ihr nicht zu, vom Anblick des Schranks hypnotisiert, und hätte mich am liebsten hingekniet, um die Bodenbeschaffenheit zu prüfen, ich musste gegen den Drang ankämpfen, mich dort auszustrecken, nur für einen Augenblick, um in aller Ruhe das Gesicht meiner Mutter heraufzubeschwören.
    Auf einmal spürte ich an den Waden ein vertrautes Streicheln. Pascha war soeben zwischen meinen Beinen hindurchgeschlüpft, um sich in die hinterste Schrankecke zu verkriechen. Lucienne rief:
    »Pascha! Was machst du da? Verschwinde!«
    Der Kater rührte sich nicht von der Stelle, die betörend schimmernden Augen auf mich gerichtet.
    »Ich weiß nicht, was mit ihm los ist: Kaum mache ich die Tür auf, springt er hinein. Komm, Pascha, raus da!«
    »Warum lassen Sie ihn nicht einfach?«
    »In den Babyschrank? Damit er dort überall Haare verstreut? Kommt nicht in die Tüte. Pascha, raus!«
    Der Kater bewegte sich nicht.
    »Dann bleibt mir nur noch eins«, murrte Lucienne.
    Sie drehte sich zur Tür und rief:
    »Fernand, kannst du für Pascha bitte eine Dose öffnen? Er hat sich mal wieder in den Schrank verzogen.«
    »Mach ich!«, antwortete Fernand.
    »Eine Dose? Warum denn eine Dose?«
    »Weil dieses Viech den Schrank nur verlässt, wenn es was zu fressen gibt!«, erklärte sie und warf Pascha einen verärgerten Blick zu.
    Aus der Küche hörten wir das Klirren eines Löffels gegen eine Blechdose. Paschas Ohren bebten.
    »Hörst du das, Pascha? Das Signal! Na lauf schon!«, täuschte Lucienne freudige Begeisterung vor.
    Pascha ließ sich Zeit: Er stand mit großer Herablassung auf, das spitze Schnäuzchen hoch erhoben, das Fell stolz aufgebauscht, und trat in würdevoller Langsamkeit aus dem Schrank. Während er in Richtung Küche strebte, betätigte Lucienne den Schließmechanismus und knurrte: Der treibt mich noch in den Wahnsinn! Nun, da sie ein Baby bekommen würde, mochte sie den Kater wohl nicht mehr bemuttern.
    Lucienne ging ins Wohnzimmer, um sich kurz aufs Sofa zu legen, und ich lief in die Küche, um ihr ein Glas Wasser zu holen. Dort traf mich der Geruch wie ein Schlag. Es war so heftig, so unerwartet, dass ich mich gegen die Wand lehnen musste.
    Ich habe ihn mit geschlossenen Augen in tiefen Zügen eingeatmet. Das war er, ohne jeden Zweifel, dieser unvergessliche Geruch, der einem berauschend in die Nase stieg, das Herz höherschlagen ließ und Freudentränen hervorrief. Dabei hatte ich ihn für immer verloren geglaubt, und nun kehrte er aus den Tiefen meines frühesten Daseins zurück. Wuchtig. Unverändert.
    »Was hast du denn, Lila?«, fragte Fernand.
    »Nichts, gar nichts«, stammelte ich und gab mir alle Mühe, den Schock zu überspielen.
    Dann habe ich die Augen wieder aufgemacht.
    Ich habe es gleich gesehen, auf einem Teller, der auf der Arbeitsplatte stand: zylinderförmig, weich, aromatisch. Das war es. Ich erkannte die Form wieder, die Farbe. Und diesen Geruch, der mir Herzklopfen verursachte – Festtagsklopfen. Ich trat auf den Teller zu, um den Geruch noch intensiver auf mich wirken zu lassen, und sagte zu Fernand:
    »Wollten Sie das nicht zum Mittagessen

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