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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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Gesicht gerechnet. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich fand das nicht hässlich. Keineswegs. Es war lediglich ein wenig verstörend. Anders.
    Gleich als Nächstes sind mir Ihre Hände aufgefallen. Sie trugen keine Handschuhe. Zum ersten Mal seit Monsieur Kauffmanns Tod sah ich jemanden ungeschützt mit Papierdokumenten hantieren. Sie ahnen nicht, wie sehr mich das berührt hat. Vermutlich habe ich Sie deswegen so lange heimlich beobachtet. Ich konnte mich nicht vom Anblick Ihrer Hände, Ihrer Finger losreißen, die durch die Seiten blätterten.
    Als Sie plötzlich den Kopf hoben, sprang ich mit einem Satz in den Schutz der Dunkelheit zurück. Mit angehaltenem Atem an die Wand gedrückt, verfolgte ich, wie Sie in den finsteren Flur hinausspähten. Meine Gedanken rasten wild durcheinander. Ihre Verblüffung – oder Verärgerung – verstärkte die Stirnfalten. Was meine Panik nur mehrte.
    Ein paar Sekunden verharrten Sie noch auf der Lauer, dann lächelten Sie, es war ein eigenartiges Lächeln, und widmeten sich erneut den Dokumenten, mit denen der Schreibtisch übersät war. Ich habe mich davongeschlichen wie eine Diebin. Eine Bilderdiebin.
    Schlag neun Uhr kreuzte Justinien auf.
    »Monsieur Templeton ist wieder da!«
    »Ja, ich weiß, Justinien«, antwortete ich. Meine Stimme ließ an Festigkeit zu wünschen übrig, ich hatte mich noch nicht ganz von dem emotionalen Aufruhr erholt.
    »Sie wissen aber nicht, was das für mich bedeutet! Es ist wie Balsam auf meinem Herzen, wie Honig, wie tausend strahlende Sonnen. Jetzt wird alles gut, warten Sie’s nur ab. Jetzt können mir die anderen nichts mehr anhaben!«
    »Das freut mich für Sie.«
    »Ihnen geht es wohl nicht so gut?«
    »Doch, doch, alles bestens.«
    Er blinzelte mir mit seinem versehrten Lid zu.
    »Keine Sorge, ich vergess Sie schon nicht. Hab Ihnen auch wieder was mitgebracht.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln.
    »Danke, Justinien. Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne Sie täte.«
    »Klar, ohne mich wären Sie ganz schön aufgeschmissen!«
    Er trat auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr:
    »Sie wissen ja: Für Sie würde ich alles tun.«
    An diesem Vormittag war ich nicht gerade leistungsfähig, ich machte einen Fehler nach dem anderen, verstieß gegen sämtliche Vorschriften, ließ manche Seiten aus und scannte andere verkehrt herum ein. Als Sie gegen 11 Uhr neben meiner Zelle im Flur stehen geblieben sind, gab ich vor, mich voll und ganz auf meinen Scanner zu konzentrieren, und hielt den Blick hartnäckig gesenkt, bis Sie endlich kehrtmachten.
    Um 17 Uhr verließ ich meine Zelle, ohne einen einzigen Blick auf die Artikel geworfen zu haben, die Justinien mir aus dem Magazin gebracht hatte. Rasch durchquerte ich den Flur und zählte dabei meine Schritte. Bei 19 nach links biegen und bei 103 wieder links. Bei 122 hatte ich Ihr Büro erreicht. Schnell weitergehen, den Blick gesenkt halten. Danach immer geradeaus, mit angehaltenem Atem, bis zu 175 – Aufzug.
    Als ich den Knopf betätigte, um ihn zu rufen, hinterließ mein Finger einen feuchten Abdruck auf dem glatten Aluminium.
    »Mademoiselle K!«
    Ich fuhr zusammen.
    »Hätten Sie kurz Zeit?«
    Verstört drehte ich mich um. Copland stand in der Tür Ihres Büros und rief mich zu sich.
    »Mademoiselle K, hier ist jemand, der Sie gern kennenlernen möchte.«
    Da traten Sie aus der Tür. Es hätte nicht schlimmer kommen können. Ich hielt die Luft an, setzte ein Lächeln auf und ging auf Sie zu. Doch das Lächeln verfehlte seine Wirkung.
    »Keine Angst!«, rief Copland. »Wir werden Sie schon nicht fressen.«
    Er lachte kurz auf, fröhlich, nicht bösartig, dennoch trug sein Lachen zu meinem Unbehagen bei. Sie betrachteten mich mit ernstem Blick, ohne in Coplands Heiterkeit einzustimmen. Unter diesen Umständen wäre es mir wohl lieber gewesen, Sie lachend zu erleben – man ist eben nie zufrieden.
    »Mademoiselle, ich darf Ihnen Monsieur Templeton vorstellen, den Leiter der Digitalisierungsabteilung, der gerade erst von einer wichtigen Mission aus der Zone zurückgekehrt ist«, verkündete Copland.
    In seinen Worten schwang eine Art von Ironie mit, die mir missfiel.
    »Milo, das ist Mademoiselle K, die uns seit rund einem Jahr zur Hand geht. Kurz nach Ihrem Aufbruch zu den Wilden hat sie hier angefangen.«
    Ich konnte gar nicht fassen, in welchem Ton er mit Ihnen sprach. Das grenzte an Provokation, aber Sie blieben gelassen. Copland maß Sie ungeniert, halb amüsiert, halb angriffslustig, und dann

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