Die Ballade der Lila K
starrten Sie sich gegenseitig stumm lächelnd nieder, als gäbe es mich gar nicht. Copland fing sich schließlich wieder und fuhr redselig fort:
»Mademoiselle K besetzt hier eine Kontingentstelle . Und hat sich dabei als vorbildliche Mitarbeiterin entpuppt.«
Ich merkte, wie ich rot wurde, teils aus Bescheidenheit, vor allem aber aus dem Gefühl heraus, dieses Lob nicht zu verdienen.
»Außerdem, und das dürfte Sie besonders erfreuen, Milo, habe ich läuten hören, dass Mademoiselle K und Ihr Schützling ein Herz und eine Seele sind … Wie hieß er doch gleich … Justinien, nicht wahr? Wobei er von den Mitarbeitern ganz anders genannt wird … was soll’s. Sie müssen nämlich wissen, dass Mademoiselle K ihn unter ihre Fittiche genommen hat. Ist das nicht rührend? Der arme Tropf zeigt ein ganz neues Gesicht. Wenn man so will …«
Den Sarkasmus geflissentlich übergehend, murmelten Sie:
»Ja, er hat mir davon erzählt.«
Copland ließ nicht locker:
»Im Ernst, Mademoiselle: Was finden Sie an diesem bedauernswerten Kerl?«
»Ich … ich … ich mag seine Maximen.«
»Seine Maximen, haha! Seine Maximen!«, feixte Copland.
Nun musterten Sie mich eindringlich. Errötend senkte ich den Blick.
»Sie sehen also, Milo, dass unsere Mademoiselle K eine echte Ausnahmeerscheinung ist und sich durch ungewöhnliche Fähigkeiten auszeichnet! Abgesehen von ihrer stupenden Schlagfertigkeit, die sie ja gerade eben wieder unter Beweis gestellt hat, verfügt sie über eine immense Bildung sowie weitere Kenntnisse und Fertigkeiten, die in keinem Verhältnis zu ihrer untergeordneten Stellung stehen. Lesen Sie einfach ihre Akte und sagen Sie mir dann, was Sie davon halten.«
Nachdenklich neigten Sie den Kopf zur Seite, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Was Sie mir da erzählen, mein werter Felix, überrascht mich nicht. Ich habe selbst schon feststellen dürfen, dass Mademoiselle K mit einer erstaunlichen Beobachtungsgabe gesegnet ist.«
»Aha! Dann ist ja alles bestens«, erwiderte Copland, ohne ein Wort zu verstehen, während ich noch röter wurde.
Sie deuteten ein Lächeln an.
»Sehr erfreut, Sie endlich kennenzulernen, Mademoiselle.«
Worauf ich sagte, das Vergnügen sei ganz meinerseits, wie man es bei diesen Anlässen zu tun pflegt. Man hatte uns offiziell miteinander bekannt gemacht. Wir gaben uns flüchtig die Hand. Und ich wollte Ihnen schon lange einmal sagen, dass es mich kein bisschen angeekelt hat.
Jetzt kann ich es ja zugeben: Von Anfang an fühlte ich mich zu Ihnen hingezogen – das heißt, noch bevor ich Ihnen das erste Mal begegnete. Wegen der Bücher in Ihrem Büro, der Füller auf dem Sideboard, der Porträts an den Wänden. Trotzdem blieb ich auf Abstand bedacht. Mit Ihnen zu sprechen, ein wie auch immer geartetes Band zu knüpfen hätte gegen meine Prinzipien verstoßen. Wie diese Dinge beginnen, ist weithin bekannt, aber man weiß nie, wo sie enden, und ich wollte nicht das geringste Risiko eingehen, verstehen Sie? Ich konnte mir ohnehin keinerlei Ablenkung erlauben. Ich wusste, um mein Ziel zu erreichen, durfte ich es keinen Moment aus den Augen lassen. Es ging einzig und allein um die Reise, die mich zu meiner Mutter führen würde. Ich musste mich darauf vorbereiten. Für Sie oder andere gab es in meinem Leben keinen Platz.
Manchmal blieben Sie im Flur vor meiner Glaswand stehen und beobachteten mich, wie am ersten Tag. Sie hielten sich eine ganze Weile im Hintergrund, ohne den Blick von mir abzuwenden. Ich tat, als wäre ich viel zu sehr in meine Arbeit vertieft, um Sie zu bemerken, aber es ließ mir trotzdem keine Ruhe. Warum taten Sie das? War ich für Sie irgendein seltsames Tier? Ahnten Sie, was ich mit Justinien ausgeheckt hatte? Waren Sie mir freundlich gesinnt, oder misstrauten Sie mir? Um das zu erfahren, hätte ich sicher den Mut aufbringen müssen, Ihnen in die Augen zu sehen.
Dieses Spiel hätten wir beide noch lange fortsetzen können, Sie als stummer Beobachter, ich stets auf der Flucht vor Ihnen, den Kopf voller unauflösbarer Zweifel. Wir hätten ad vitam æternam so weitermachen können, ohne dass sich unsere Blicke jemals kreuzten. Aber man hat es ja nicht immer in der Hand, nicht wahr? Manchmal nimmt uns der Zufall die Entscheidung ab. Je nachdem, wie die Folgen sind, sagt man hinterher Segen oder Fluch dazu. Oder beides zugleich.
Eines Morgens stellte ich beim Erreichen meiner Zelle fest, dass ich meinen Schal verloren hatte. Bestimmt war er, von mir
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