Die Ballade der Lila K
Kauffmanns Sündenregister ohnehin schon stattlich war, trauten sie ihm wohl jede erdenkliche weitere Schandtat zu. Am Ende fragte mich einer der beiden:
»Wissen Sie vielleicht, wie er sich diese Informationen beschafft haben könnte, Mademoiselle?«
»Ich war noch so klein, wissen Sie, da habe ich keine Fragen gestellt.«
»Das macht nichts. Sie haben uns schon sehr weitergeholfen.«
Ich nickte freundlich. Sie schenkten mir zum Abschied ihr feierliches Totengräberlächeln, katzbuckelten noch ein paarmal und zogen sich dann auf Zehenspitzen zurück. Ich schloss erschöpft die Augen. Murmelte ganz leise: Danke . Und hörte dicht neben meinem Ohr ein fröhliches Lachen vibrieren.
Als Fernand erfuhr, was ich den Ermittlern erzählt hatte, ließ er nicht die kleinste Bemerkung fallen. Ich weiß nicht, ob er die Geschichte geschluckt hat. Es spielt auch keine Rolle. Denn als die Ermittler wiederum ihn aufsuchten, um ihn zu befragen, bestätigte er die Glaubwürdigkeit meiner Version: Monsieur Kauffmann habe über einen sehr langen Zeitraum die volle Unterstützung des Ministeriums genossen, hinzu kämen die mehr oder weniger geheimen Netzwerke, mit denen er in Verbindung stand. Damit habe er jede Möglichkeit gehabt, bei Bedarf an vertrauliche Daten heranzukommen. Kurzum, selbst wenn meine Version Fernand fragwürdig vorgekommen war, hatte er sie aus freien Stücken übernommen.
Er besuchte mich weiterhin jeden Nachmittag, brachte mir Obst mit: Voller Vitamine, das ist gut für die Gesundheit. Ich habe Obst immer gehasst – ob Liebesapfel oder Folterbirne, macht für mich keinen Unterschied. Es war aber nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Streit vom Zaun zu brechen, und so antwortete ich stets: Danke, Fernand, ich esse es später. Abends steckte ich es dann den Krankenschwestern zu.
Pascha wurde schließlich extra muros ausfindig gemacht. Unglaublich, dass er eine solche Strecke zurücklegen und die Grenze hatte passieren können, ohne entdeckt zu werden.
»Er bewegt sich ständig von einem Bezirk zum nächsten«, erklärte mir Fernand. »Er streift überall herum. Man kann seine Spur zwar verfolgen, aber bis er aufgegriffen wird, dauert es wohl noch eine Weile. So ist das nun mal in der Zone.«
»Die Zone, oh, wie furchtbar! Mein Kater ist auf die schiefe Bahn geraten.«
Fernand nickte, und an seinem zerknirschten Gesicht war zu erkennen, dass er die Ironie nicht verstanden hatte.
Ich verfolgte stur meine Strategie und begegnete dem Pflegepersonal so ruhig, freundlich und gefügig wie nur möglich. Ich wusste aus Erfahrung, dass in einem solchen System jeder Frontalangriff zum Scheitern verurteilt ist. Eine List versprach mehr Erfolg.
Für meine Mühen wurde ich am Ende belohnt: Erst lockerten sie die Gurte. Und da ich keinerlei Anzeichen von Unruhe zeigte, nahmen sie sie ganz ab. Das hat mir wieder Hoffnung geschenkt.
»Sehen Sie, Fernand, jetzt sind alle mit mir zufrieden. Wann werde ich wohl entlassen?«, fragte ich ihn jeden Tag aufs Neue.
Er gab mir keine Antwort. Noch war die Sache nicht ausgestanden.
Nach fast drei Wochen in diesem Krankenhaus langweilte ich mich allmählich zu Tode. Außer Fernand kam mich niemand besuchen – ich rechnete ehrlich gesagt auch nicht mit Besuchern. Abgesehen von Ihnen. Ich wusste, dass Sie inzwischen von Ihrer Mission in der Zone zurückgekehrt sein mussten, und wunderte mich, kein Lebenszeichen zu bekommen.
»Könnte ich bitte mein Grammabook haben?«
»Das geht nicht, Lila. Es wurde zwecks Untersuchung beschlagnahmt.«
»Was soll das heißen?«
»Sie überprüfen deine Korrespondenz, was du gelesen hast, und auch, was du im Netz recherchiert hast.«
»Sie stecken also überall ihre Nase rein.«
»Das sind nun mal die Vorschriften.«
»Das ist einfach nur widerlich.«
»Sie wollen doch bloß nachvollziehen, was dir durch den Kopf gegangen ist, bevor du diesen Unsinn verbrochen hast.«
Eine Antwort sparte ich mir. Doch insgeheim war ich heilfroh, dass ich die Umsicht besessen hatte, sämtliche Recherchen über meine Mutter in der Bibliothek anzustellen. Die Ermittler konnten den Speicher meines Grammabooks nach Herzenslust durchstöbern, sie würden nichts finden. Nada, niente , kein Stäubchen – wenigstens etwas.
Danach habe ich ein paar Tage verstreichen lassen, bevor ich das Thema wieder anschnitt:
»Fernand, wissen Sie vielleicht, wann ich mein Grammabook zurückbekomme?«
Er verkrampfte sich.
»Du bist noch nicht ganz bei Kräften,
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