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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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Besuchszeit zu verkünden. Ich hörte, wie Fernand Hut und Mantel nahm und den Aktenkoffer zuschnappen ließ, in dem er sein Grammabook transportierte. Seinen Abschiedsgruß erwiderte ich nicht.
    Am späteren Abend ist Ihre Nachricht eingetroffen: Wann darf ich Sie besuchen, ohne Sie zu stören? Ich war heilfroh, dass Sie überhaupt noch mit mir reden mochten, nach allem, was ich Ihnen über meine Vergangenheit verschwiegen hatte. Zugleich war ich beunruhigt. Ich fragte mich, was Sie nun von mir hielten, nachdem Sie über meine Mutter Bescheid wussten. Als Antwort schrieb ich: Morgens, da bin ich immer allein. Danach bat ich um eine Spritze, um schlafen zu können.
    Die Schlafmittel hatten sie großzügig bemessen: Als Sie kamen, döste ich noch halb.
    »Wie ist es Ihnen ergangen, seit gestern?«
    »Schwer zu sagen.«
    Sie setzten sich zu mir ans Bett. Zunächst betrachteten Sie mein Gesicht, dann fiel Ihr Blick auf mein Schlüsselbein. Rasch zog ich den Kragen meines Nachthemds hoch. Gleich darauf dachte ich: Du hast dich nicht einmal gekämmt – ist das nicht albern?
    »Warum haben Sie mir nichts gesagt, Lila?«
    Ich senkte stumm den Blick.
    »Ich dachte, ich hätte Ihnen hinlänglich bewiesen, dass Sie mir vertrauen können.«
    »Mit Vertrauen hat das nichts zu tun, Milo … Wie stellen Sie sich das vor? Solche … solche Dinge lassen sich nicht so leicht erzählen. Selbst wenn ich es gewollt hätte … es war unmöglich.«
    Sie nickten traurig.
    »Halten Sie mich denn auch für wahnsinnig?«
    »Ich maße mir kein Urteil an.«
    »Ist es nicht seltsam, dass ich meine Mutter wiedersehen wollte, obwohl sie … mir all das angetan hat?«
    »Ich maße mir kein Urteil an«, wiederholten Sie.
    »Ich will es ja nicht leugnen. Das, was Fernand erzählt hat … Ich kann mich an alles erinnern. Es ist mir nach und nach wieder eingefallen.«
    Ich musterte meine Hände, die flach auf der Decke lagen, die hauchdünnen Narben, die zwischen meinen Fingern verliefen.
    »Und selbst wenn ich es vergessen hätte, mein Körper trägt genügend Spuren.«
    Sie streckten die Hände aus und legten sie auf meine. Ich habe es zugelassen und hatte dabei die eigenartige Vorstellung, dass die Wärme Ihrer Handflächen meine Narben zum Verschwinden brächte.
    »Das Seltsamste ist allerdings, dass sie mich wirklich geliebt hat. Davon bin ich zutiefst überzeugt, Milo: Meine Mutter hat mich geliebt. Daran kann ich mich ebenfalls deutlich erinnern. Doch wie soll man erklären, dass sie ihrer Liebe zum Trotz so etwas tun …«
    Ich habe den flüchtigen, unmerklichen Druck Ihrer Finger auf meiner Hand gespürt. Aber Sie haben nichts gesagt.
    »Das Schlimmste ist dieses Nichtwissen. Nicht begreifen zu können, wie das passiert ist. Deswegen bin ich nach Chauvigny gefahren. Ich wollte sie sehen, sie um eine Erklärung bitten, falls sie dazu noch in der Lage wäre. Jetzt weiß ich, dass das niemals möglich sein wird, und das ist verdammt hart. Ohne sie fehlt mir ein wesentlicher Teil der Geschichte.«
    »Was ist mit Ihrer Akte? Haben Sie dort keine Hinweise gefunden?«
    »Meine Akte ist leer, Milo. Alles, was meine Mutter betrifft, wurde gelöscht. So läuft das offenbar, wenn einer Mutter die Elternrechte entzogen werden. Man löscht sie komplett aus. Anstelle ihres Namens setzt man Kreuze. Wenn ich stattdessen ihre Akte einsehen könnte, würde ich bestimmt hilfreiche Hinweise finden. Aber das wird man mir niemals genehmigen. Offiziell haben sie und ich nichts miteinander zu tun. Unsere rechtlichen Bande wurden schon vor vielen Jahren gekappt.«
    »Es wäre vielleicht einen Versuch wert.«
    Ich habe den Kopf geschüttelt.
    »Sie haben doch gesehen, wie Fernand gestern reagiert hat, bei der bloßen Vorstellung, dass ich meine Mutter finden wollte. Er hält mich für verrückt. Nicht auszudenken, wie er sich aufführen würde, wenn ich Einsicht in ihre Akte verlangte! Es hat keinen Sinn.«
    »Und was wollen Sie dann tun?«
    »Ich will hier raus. Raus aus dieser Irrenanstalt. Das ist momentan mein einziges Ziel. Was danach kommt, weiß ich nicht.«
    »Sie sind nicht allein, Lila. Ich bin für Sie da. Ich werde Ihnen helfen.«
    Ich bedankte mich. Ich war aufrichtig gerührt, auch wenn mir nicht ganz klar war, was Sie in dieser Situation für mich tun konnten. Plötzlich sind Sie aufgestanden.
    »Sie gehen schon?«
    »Ja. Ich muss los.«
    »Kommen Sie mich wieder besuchen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich … ich muss bald wieder in

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