Die Ballonfahrerin des Königs
das hätte bedeutet, dass
sie sich für den Verlust der Fabrik schuldig gefühlt hätte, und das wollte er nicht. Sie hatte schon genug zu tragen – lieber
übernahm er die Last, als sie unter der zusätzlichen Bürde schwanken zu sehen. Zuerst versuchte sie, |277| ihn abzuwehren, aber dann ließ sie doch zu, dass er sie in den Arm nahm. «Du wirst fliegen!», raunte er. «Das verspreche ich
dir! Wir werden einen Weg finden, um deinen Traum zu erfüllen.»
«Aber wie soll das gehen? Du hast kein Geld mehr, und ich …»
«Andere schaffen es auch. Glaubst du, dass alle, die jemals geflogen sind, Krösusse waren?» Er lächelte. «Wir werden einfach
betteln gehen.»
Sie riss ihre verweinten Augen auf. «Betteln?»
«Aber ja. Wir machen aus unserer Fahrt ein Spektakel. Wir erzählen, dass wir etwas versuchen werden – ein Experiment, eine
neue Technik, irgendetwas –, das es nie zuvor gegeben hat, und machen die Leute neugierig. Ich glaube, ich weiß auch schon, was. Und du», er stupste
sie auf die Nase, «wirst durch die republikanisch geschmückten Salons wandeln und die Damen und Herren hofieren, die plötzlich
wieder etwas zu sagen haben, seit Robespierre tot ist, und sie überzeugen, in das vielversprechende Unternehmen eines jungen
Physikers namens André Levallois zu investieren. Schließlich wurdest du freigesprochen, niemand kann dir mehr etwas anhaben.»
Er sah, wie ihre Augen aufleuchteten, und ergriff ihre Hände.
«Wir schaffen das», sagte er fest. «Solange wir einen gemeinsamen Traum haben und um ihn kämpfen.»
***
Marie-Provence eilte durch die Küche und packte ihre Sachen zusammen. Heute war der Tag der Visite im Temple, und sie wollte
auf keinen Fall zu spät sein. Jomart war der Auffassung, Robespierres Tod würde möglicherweise auch eine Lockerung von Charles’
Haftbedingungen zur Folge haben, und um nichts auf der Welt wollte sie das verpassen.
«Ich muss jetzt los. Heute Nacht bin ich nicht da, ich schlafe in der rue de Gaillon», sagte Marie-Provence zum |278| Rücken ihres Vaters. Ihre Stimme hallte laut in dem großen Raum.
Seit die anderen Bewohner von Maisons das Schloss verlassen hatten, war es oft sehr still hier. Kurz dachte Marie-Provence
an ihre Tante und die übrigen Mitbewohner, die sich mit Hilfe ihres Vaters und dessen Verbindungen auf den Weg nach England
gemacht hatten. Es war ein längst überfälliger Schritt gewesen, angesichts ihrer rasch schrumpfenden Geldreserven. Marie-Provence’
Verhaftung war nur der letzte Ansporn, eine untragbar gewordene Situation zu ändern. Allerdings bedauerte Marie-Provence,
dass sie sich nicht von tante Bérénice hatte verabschieden können. Sie konnte nur von Herzen hoffen, dass die Flüchtigen es
schaffen würden, sich an die ihnen fremd gewordene Außenwelt anzupassen.
Als von ihrem Vater keine Reaktion kam, trat Marie-Provence an ihn heran. «Ist etwas nicht in Ordnung?»
Guy de Serdaine drehte sich mit einem Ruck zu ihr um. «Kannst du mir verraten, was das soll?» Er klatschte ein Papier auf
den Küchentisch.
Marie-Provence brauchte nur einen Blick, um zu sehen, worum es sich handelte. Ihr wurde heiß, doch sie ließ sich nichts anmerken.
«Du liest meine Korrespondenz?», fragte sie kühl.
«Mit Recht, wie man sieht!»
Ihr Vater war bleich. Etwas, das Marie-Provence noch nie dort gesehen hatte, lag in seinem Blick.
«Wenn ich das, was dieser Kerl da so salbungsvoll umschreibt, richtig verstehe, habt ihr … Stimmt das?»
«Diesen Kerl, Vater, hast du selbst um Hilfe gebeten. Und er hat mein Leben gerettet.» Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben,
doch ein leichtes Zittern lag in ihrer Stimme. «Glaubst du nicht, dass es an der Zeit ist, deine Vorurteile ihm gegenüber
abzulegen?»
«Wer spricht von ihm? Er hat sich genommen, was zu kriegen war, wie nicht anders zu erwarten! Aber dass du …» Er hieb mit solcher Wucht auf den Brief, dass Marie-Provence zusammenzuckte. «Wie konntest du dich von ihm |279| einlullen lassen? Ihm deinen Stolz opfern für die Dankbarkeit, die dieser unverschämte Mensch glaubt, von dir fordern zu können?»
«Ich glaube, ich muss da etwas richtigstellen.» Sie sah ihren Vater fest an. «André hat nichts gefordert, Vater. Ich war es,
die ihn gerufen hat. Ich habe mich ihm hingegeben, weil ich mich danach gesehnt habe.» Bei diesen ungeschminkten Worten wurde
ihr Vater noch ein wenig bleicher. «Weil ich nicht sterben wollte, ohne zu
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