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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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stumm und eng umschlungen.
    Als André am nächsten Morgen erwachte, stand Marie-Provence am Fenster. Die weichen Umrisse ihres nackten Körpers hoben sich
     gegen das einfallende Licht ab. Er betrachtete sie ergriffen. Und er begriff, dass das Geschenk, das sie ihm in diesem Raum
     gemacht hatte und das sie keinem anderen jemals mehr würde machen können, ihrer beider Liebe für alle Zeiten besiegelt hatte.
    «Was tust du?», fragte er, als er hinter sie trat.
    Sie deutete auf den weitläufigen Park und die dunklen Buckel des Waldes, die von der aufgehenden Sonne gerötet wurden.
    «Ich begrüße den Tag. Das mache ich jeden Morgen, seit   …» Sie unterbrach sich und blinzelte. Mit bebender Stimme sagte sie: «Man genießt viel zu wenig, was man hat. |275| Ein Sonnenstrahl, ein Windhauch   … Wir sind umgeben von Wundern, doch wir nehmen sie mit einer Selbstverständlichkeit hin, die an Blindheit grenzt.» Es war
     das erste Mal, dass sie ihre Gefangenschaft ansprach. Noch vor zwei Wochen wäre es für sie undenkbar gewesen, ihm so offen
     ihre Gefühle mitzuteilen. Sie hatte sich verändert – nicht nur äußerlich.
    Er drückte sein Gesicht in ihr einst so prachtvolles, jetzt vom Henker stümperhaft gestutztes Haar und schloss sie in seine
     Arme. Die Erinnerungen an das, was sie durchlitten hatte, konnte er ihr nicht nehmen. Doch er konnte sie wenigstens spüren
     lassen, dass er da war, und versuchen, ihr etwas von ihrer Angst zu nehmen. Es war wunderbar, sie so selbstverständlich zu
     halten, und es erfüllte ihn mit solchem Glück, dass ihm ihre Anspannung erst nach einiger Zeit auffiel. «Was ist los?», fragte
     er.
    Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. «Weißt du, um was ich Gott gebeten habe, die ganze Zeit, während ich in La Force auf meinen
     Prozess gewartet habe?»
    Er drückte seine Lippen auf die sanft pochende Stelle ihrer Schläfe. «Erzähl es mir», bat er.
    «Einmal noch diese herrliche Welt von oben zu sehen.» Mit ihren weitgeöffneten rauchgrünen Augen fixierte sie einen Punkt
     in der Landschaft, den nur sie sah. «Ich habe an nichts anderes gedacht. Tag und Nacht.» Sie drehte sich ihm zu, griff seine
     Hand. «Nimmst du mich mit? So wie damals?»
    Er räusperte sich. «Das wird leider nicht gehen, chérie.»
    Sie sah ihn fragend an.
    «Es wird keine Flüge mehr geben. Ich habe die Fabrik meinem Bruder überlassen.»
    Sie wurde blass. «Aber Zéphyr   …»
    Etwas schnürte ihm die Kehle zu, als er erklärte: «Zéphyr war alt und seine Hülle zerschlissen. Weiterhin mit ihm zu fliegen,
     wäre zu riskant gewesen. Ich musste ihn zerstören.»
    Natürlich war das nur die halbe Wahrheit – ja, Zéphyr war alt gewesen, doch er war in erster Linie Eigentum der |276| Firma und somit an Mars übergegangen, als André die Rechte an den Papeteries Levallois abtrat. Daraufhin hatte Mars befohlen,
     die etwas abgenutzte, aber noch brauchbare Seide in handliche Einzelteile zu zerschneiden und zu verkaufen. André hatte nicht
     zulassen wollen, dass irgendjemand anders als er selbst zerstörte, was er erschaffen hatte. Noch immer saß die Trauer tief,
     die er empfand, als sein Messer die Hülle auftrennte. Er litt, als müsse er einen treuen Hund aufschlitzen, und vergoss Tränen
     der Wut und der Trauer. Dennoch hatte er keinen Augenblick gezögert, denn er wusste, für wen er dieses Opfer brachte.
    Die plötzliche Kälte riss André aus seinen Gedanken. Überrascht sah er sich um − er war allein. «Marie? Wo bist du?»
    Er fand sie im Nebenzimmer, wo sie gerade ihre Kleider zusammensuchte. Ihr Gesicht war verschlossen. «Marie, was ist?»
    Sie antwortete nicht, sondern riss einen Strumpf hoch.
    «Ist es wegen Zéphyr? Es tut mir leid, chérie, wenn du jetzt enttäuscht bist, aber   …»
    Sie richtete sich auf, drückte ihre Kleider an sich und funkelte ihn an. «Wie konntest du nur die Fabrik deinem Bruder überlassen?
     Wie konntest du nur so selbstsüchtig sein?»
    «Ich verstehe nicht   …»
    «Wie oft hast du mir gesagt, dass die Papierfabrik dich langweilt? Du warst dir zu vornehm für das Handwerk und hast alles
     hingeworfen, statt einmal darüber nachzudenken, was dir die Arbeit dort alles ermöglicht hat!» Sie stellte sich unmittelbar
     vor ihn und schrie ihn an: «Du hast deinen und meinen Traum für deine verdammte Bequemlichkeit verschenkt!» Sie schluchzte
     auf.
    Andrés Herz schlug schnell. Er hätte sich rechtfertigen und ihr seine Gründe darlegen können, doch

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