Die Ballonfahrerin des Königs
überlebt, und er wird sicherlich schwere
Stunden hinter sich haben. Andererseits – Croutignac war zwar ein enger Vertrauter Robespierres, doch er stand nie im Licht der Öffentlichkeit. Ich muss gestehen,
dass ich ihn noch nicht besucht habe. Meine Frau drängt mich dazu, sie sagt, es sei meine Pflicht als Schwager, ihm beizustehen,
aber …» Jomart warf ihr einen Seitenblick zu. «Sie kennt die Rolle nicht, die er bei Ihrer Verhaftung gespielt hat.»
Marie-Provence nahm einen Papierstapel in die Hand und vertrieb ihr Unbehagen, indem sie ihn mehrere Male geräuschvoll auf
den Tisch stieß, bis die Blätterkanten exakt übereinanderlagen. «Es ist vorbei», sagte sie mit fester Stimme. «Ich bin freigesprochen
worden und kann inzwischen sogar überall mit dem Namen Serdaine auftreten. Gott sei Dank ist seit Robespierres Hinrichtung
ein Adeliger nicht mehr automatisch ein Schwerverbrecher. Croutignac kann mir nichts mehr anhaben.»
Genauso war es, versicherte sie sich. Ihr Vater wurde zwar |282| noch gesucht als der Mann, der der Königin zur Flucht hatte verhelfen wollen, doch keiner wusste, dass er wieder im Lande
war. Sie selbst war amnestiert und Croutignac als Robespierres Vertrauter entmachtet. Vielleicht hätte Marie-Provence noch
einen Grund zur Beunruhigung gehabt, wenn ihre Familie und Croutignac ein persönliches Motiv gehabt hätten, sich zu hassen.
Aber sowohl ihr Vater wie auch Croutignac hatten ihr versichert, dass dem nicht so sei, und Croutignac war seit den Ereignissen
auf der place de la Révolution wie vom Erdboden verschluckt. Sie war ihn los, daran wollte sie mit aller Kraft glauben. Und
mit der Zeit würden sicherlich auch die Angstträume verschwinden, die sie nachts plagten und Schutz in Andrés Armen suchen
ließen.
Jomart kratzte an seinem Schnurrbart. «Marie-Provence, es gibt da etwas, das ich Sie schon die ganze Zeit fragen möchte –
seit Sie mir verraten haben, dass Sie sich unter einem falschen Namen vorgestellt hatten. Als Assistenzarzt lernte ich bei
einem Kollegen, der im ganzen Land herumreiste, um seine neuartigen Methoden bekanntzumachen. Er wurde auch am Hof empfangen.»
Er sah sie forschend an. «Ich traf dort auf einen capitaine Guy de Serdaine – ist das womöglich ein Verwandter von Ihnen?»
«Das ist mein Vater», antwortete Marie-Provence überrascht.
«Ah …» Der Arzt riss die Augen auf, wandte sich dann jedoch ab und beugte sich über seine Tasche.
Marie-Provence runzelte die Stirn. «Kennen Sie ihn?»
«Kennen wäre übertrieben. Eine Begegnung, mehr nicht.» Er kramte geräuschvoll in der bauchigen Tasche herum. «Meine Frau hat
recht. Ich sollte Cédric besuchen», murmelte er. Er richtete sich wieder auf. «Es waren übrigens gestern zwei Herren da, die
einen neuen Passierschein zum Temple für Sie abgegeben haben, Mademoiselle. Auf Ihren wirklichen Namen.» Er hielt Marie-Provence
das Dokument hin. «Ich gestehe, dass mich das verblüfft. Jemanden mit Ihrer Familiengeschichte zum kleinen Capet durchzulassen … Ich weiß, dass Ihre dramatische Befreiung Sie als Marianne noch |283| berühmter gemacht hat − dennoch müssen Sie über ziemlich gute Beschützer verfügen.»
Marie-Provence musste dem Arzt recht geben. Sie wusste nur noch wenig von den Ereignissen nach ihrer Rettung durch André.
Bilder von unendlich vielen strahlenden Gesichtern und winkenden Händen geisterten durch ihre Erinnerung. Auf jeden Fall wurde
auf dem Weg zum Waisenheim, wo sie zunächst einmal von Jomart untersucht wurde, das Gerücht geboren, die Bürger von Paris
hätten ihre Marianne aus den Klauen des Diktators Robespierre gerettet, der sie posthum auf dem Altar seiner Grausamkeit hatte
opfern wollen. Seitdem hatte der Andrang der Schwangeren im Waisenhaus noch zugenommen. Die Herren des Konvents indes waren
von einem anderen Schlag als die Wäscherinnen und Marktfrauen, die nach ihrem Segen verlangten, und ließen sich gewiss nicht
durch ihre Beliebtheit davon abhalten, in die Akten zu schauen, die unter den Namen Serdaine geführt wurden.
Sie nahm dem Arzt den Pass aus der Hand, um die Unterschrift zu lesen. «Tallien!», rief sie. «Das hat Tallien unterzeichnet.»
«Jean-Lambert Tallien? Der Mann, der durch sein tapferes Auftreten Robespierres Fall mit bereitete? Sie kennen den neuen starken
Mann vom comité de salut public, vom Wohlfahrtsausschuss?», fragte Jomart mit hochgezogenen
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