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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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aufzuspüren. Später hatte er die Schubladen seiner Lehrer durchwühlt, dann heimlich die Briefe seiner
     Frau geöffnet. Ein paar Jahre danach hatte er andere geschickt, um an seiner Stelle zu wühlen und zu durchstöbern, und hatte
     sich damit begnügt, die Ergebnisse dieser Suchen auszuwerten.
    Die Archive hatte er damals während der Plünderungen mitgenommen, als die Stadt im Chaos versank und die Unterlagen unbeaufsichtigt
     waren – aus dem Gefühl heraus, dass sie ihm noch nützlich sein könnten. Einem Gefühl, dem er gelernt hatte, zu vertrauen.
     Er hatte sie nach Hause getragen und ein Inventar erstellt. Und dann hatte er sie beiseitegeschoben. Letzteres allerdings
     war die Auswirkung einer seiner anderen Eigenschaften, besser gesagt, einer seiner |305| Unzulänglichkeiten. Ja, das war ein Fehler. Er hätte versuchen sollen, den Inhalt der Pläne zu verstehen. Doch dazu hatte
     er keine Lust gehabt. Für ein Studium hatte das Geld seiner Eltern nicht gereicht, und daher war seine Bildung nur oberflächlich
     – Zahlen und Formeln stießen ihn ab. Weil er es hasste, etwas nicht zu verstehen, machte er meistens einen Bogen um Karten
     und Tabellen. Seine anderen Akten, die, in denen es um Menschen ging, lagen ihm wesentlich näher.
    Gereizt machte Cédric ein Kreuz auf seiner Liste, um ein wiedergefundenes Schriftstück zu kennzeichnen. Meine Begabung liegt
     eben woanders, versuchte er sich zu beschwichtigen. Und die ist nicht zu verachten, sonst hätte sich Robespierre nicht meine
     Dienste gesichert.
    Mit dem Anwalt aus Arras hatte ihn kein freundschaftliches Verhältnis verbunden. Aber dessen Überzeugungskraft hatte ihn fasziniert.
     Obwohl Robespierre kein begnadeter Redner gewesen war, hatte er sich leidenschaftlich für die Verbreitung von Rousseaus Ideen
     eingesetzt. Cédric − der nach dem Verbrechen an seiner Familie in nichts mehr einen Sinn gesehen und alles, was er noch an
     Lebenskraft besessen hatte, gegen sich selbst richtete, in der einzigen letzten Hoffnung, diese Kraft möge eines Tages ausreichen,
     um seinem Leben ein Ende zu setzen − hatte sich damals den Tag in einem Café vertrieben, in dem zufällig Robespierre eine
     seiner flammenden Reden hielt. Cédric war sitzen geblieben, hatte gelauscht. Und auf einmal hatte sich neues Leben in ihm
     geregt: Er hatte gehört, wie dieser Mann aussprach, was er selber instinktiv spürte, aber noch nie in Worte gekleidet hatte.
    Ja, auch er glaubte an die natürliche Güte und Unverdorbenheit des Menschen. Niemand, der ein Herz besaß, der wie er der Geburt
     eines Kindes beigewohnt hatte und dieses Kind die ersten Jahre seines Lebens hatte begleiten dürfen, konnte daran zweifeln.
     Und er war auch überzeugt, dass die Gesellschaftsordnung, wie sie bis zur Revolution geherrscht hatte, verderbt und schlecht
     war. Das hatte er am eigenen |306| Leib erfahren. Dass man hingegen dagegen einschreiten konnte, hatte ihm erst Robespierre klargemacht. Bis zu dieser Erkenntnis
     war sein persönliches Unglück ein Fels um seinen Hals gewesen, der ihn in Richtung Abgrund zog. Danach wurde es zu einer Waffe
     in seiner Hand. Und er hatte sich an Robespierres Seite gestellt und mit ihm gekämpft − für eine neue Ordnung der Welt und
     für die Bestrafung der Schuldigen.
    Nicht auf alle Mittel, die er in diesem Kampf angewendet hatte, war er stolz. Manche Beweise, die er vorgelegt hatte, waren
     gefälscht, manche Zeugenaussagen, die während eines Prozesses gemacht wurden, waren erkauft worden. Doch immer war sich Cédric
     sicher gewesen, dass es die Richtigen traf. Dafür würde er geradestehen, wenn der Tag des Jüngsten Gerichts kam. Er hatte
     die Augenbinde der Justitia angehoben, zugeschlagen aber hatte sie selbst.
    Bis auf einmal.
    Cédric schob eine Karte zurück in die Kiste, wobei sein Blick auf seinen geröteten Handrücken fiel. Ein gereizter Schauer
     durchlief seinen Körper. Er dachte nicht gerne an die Szene zurück, die sich auf der place de la Révolution abgespielt hatte.
     Er war in Panik geraten und hatte überreagiert. Doch das würde nicht wieder vorkommen. Er war kein Schlächter, er wollte nur
     Gerechtigkeit. Und manchmal brauchte die Gerechtigkeit eben etwas länger. Er würde warten.
    Zuerst Robespierres plötzliche Hinrichtung, dann die unglaubliche Entdeckung, dass er Marie-Provence de Serdaine nicht nur
     kannte, sondern ihr auch noch einen Passierschein für den kleinen Capet ausgestellt hatte – all das hatte

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