Die Ballonfahrerin des Königs
dass der Ballon ausgerechnet neben dem donjon steigen muss?»
«Meinungen sind da, um manipuliert zu werden», sagte Saison trocken. «Ich könnte mal schauen, was sich da machen lässt …»
Sie sahen einander forschend an. Auf einmal lächelten alle.
«Eine verdammt gewitzte Tochter, die Sie da haben, Serdaine», grinste Cortey.
Was Marie-Provence in diesem Moment im Blick ihres Vaters entdeckte, erfüllte ihre Brust mit Stärke. Sie wusste, sie hätte
stolz sein sollen, aber seltsamerweise wollte sich dieses Gefühl nicht einstellen. Was war bloß los mit ihr?
«Also dann, Messieurs, auf ein Neues», sagte Batz. Er schlug mit der offenen Hand auf den Tisch. «Vive le roi!»
«Es lebe der König!», antworteten alle. Nur Marie-Provence schwieg.
***
|312| Marie-Provence und André sahen sich aufmerksam im überfüllten Salon von Thérésia Cabarrus um. Aus dem Nachbarraum klangen
Trommelwirbel und Trompeten zur Begleitung eines Sängers, der ein revolutionäres Lied zum Besten gab.
«Ich glaube, mehr Menschen habe ich nur auf der place de la révolution gesehen», entfuhr es Marie-Provence.
André strich über die Hand, die sie auf seinen Unterarm gelegt hatte. Sofort bewirkte seine Wärme, dass sie sich entspannte.
«Es ist gut, dass so viele da sind», versicherte er ernst. «Denk daran: Sie alle werden dir helfen, deinen Traum wahr werden
zu lassen.»
Sie sah zu ihm auf. Worte drängten sich in ihr Herz, auf ihre Lippen. Doch sie wusste, dass sie ihm diese Worte nicht sagen
würde. Nur so konnte sie hoffen, dass er eines Tages den Verrat überwand, den sie an ihm begehen würde – es würde ihm leichter
fallen, etwas zu verlieren, wenn er glauben konnte, es nie besessen zu haben.
«Schau mal, dahinten, das ist Barras», erklärte André und deutete unauffällig auf einen kräftigen Mann mit hoher Stirn und
sinnlichen Lippen, auf denen sich ein Hauch von Grausamkeit abzeichnete. «Auch er ist als Adeliger auf die Welt gekommen,
und auch er stammt aus der Provence. Er ist einer der Männer, die in Zukunft etwas zu sagen haben werden. Wir sollten ihn
uns heute Abend unbedingt vorstellen lassen.»
Marie-Provence wusste, dass Barras den Sturm auf das Rathaus angeführt hatte, in dem Robespierre sich mit seinen treuesten
Anhängern verschanzt hatte. Er war unmittelbar und tatkräftig am Sturz des Diktators beteiligt gewesen. «Vielleicht von deinem
Bruder?», fragte sie. Mars und Barras grüßten sich höflich und wechselten ein paar Worte.
«Ich hätte mir denken können, dass er auch hier sein würde.» André schüttelte den Kopf.
«Sollen wir zu ihm rübergehen?»
«Ich fürchte, das wird nicht nötig sein», murmelte André.
|313| Tatsächlich hatte Mars sie schon entdeckt. Er kam mit einem Lächeln auf sie zu. «Ein ganz neuer Zug an dir, cher frère», lächelte
Mars. «Seit wann interessierst du dich für das mondäne Leben?»
André reagierte reserviert: «Seit du nicht mehr in den Klub der Jakobiner gehst.»
«Der Klub wird geschlossen, wusstest du das?», fragte Mars. Er zuckte die Schultern. «Nun ja, es ist genug debattiert worden.
Jetzt ist die Zeit gekommen, wiederaufzubauen!» Er wandte sich Marie-Provence zu. «Schön, Sie in guter Gesundheit anzutreffen,
Mademoiselle! Mein Bruder war in großer Sorge um Ihr Schicksal.»
Marie-Provence staunte über sein verändertes Benehmen und die förmliche Anrede. Ihr war bereits aufgefallen, dass die Menschen
sich seit Robespierres Hinrichtung nicht mehr so bereitwillig duzten wie zuvor, aber sie hatte nicht erwartet, dass Andrés
Bruder sich so schnell nach der neuen Mode richten würde. Doch Mars war nicht der einzige Opportunist im Raum. Außerdem hatte
André ihr erzählt, dass sein Bruder sich nach ihrer Verhaftung für sie eingesetzt hatte. Sie war ihm zu Dank verpflichtet,
und sie schenkte ihm ein Lächeln. «Ich weiß von Ihren guten Taten, Monsieur. Haben Sie großen Dank für Ihre Hilfe, ohne die
ich heute ebenso wenig vor Ihnen stehen würde wie ohne das tatkräftige Einschreiten Ihres Bruders.»
«Sie brauchen mir nicht zu danken. Es war ein Geschäft, nichts weiter», antwortete Mars und sah André dabei an. «Aber es ist
schön, wenn in einem Abkommen alle Parteien auf ihre Kosten kommen.» Er hob einen Finger. «Ach, à propos, lieber Bruder! Wir
haben einen zusätzlichen Lagerraum für die fertiggestellte Ware gebraucht und uns für dein Labor entschieden. Deine Sachen
haben wir
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