Die Ballonfahrerin des Königs
dauert nur Sekunden, sodass im Idealfall das Publikum noch immer keine Ahnung hat, was vor seinen
Augen vorgeht. Endlich gelingt es, das letzte kurze Ankerseil zu lösen. Das Publikum atmet auf, der Vorfall scheint vergessen.
Ab jetzt läuft alles nach offiziellem Plan: Der Ballon steigt, der Fallschirm wird gelöst und segelt samt Springer zu Boden.
Nur wenn der Ballon durch die Führungsleine eingeholt werden soll, löst sich diese, und der Ballon schwebt davon, mitsamt
seines geheimen Insassen.»
«Das ist genial!», strahlte Saison. «Die Zuschauer werden sich nur um den Springer kümmern. Keiner wird groß darauf achten,
dass der Ballon verschwindet!»
«Hm.» Assmendi sah besorgt aus. «Aber der Fallschirm erschwert die Landung auf dem Dach des Temple. Dieses Anhängsel unter
dem Korb gefällt mir nicht. Was ist, wenn es sich verhakt – oder wenn Levallois sich festhält und den Ballon am Weiterfliegen
hindert, nachdem wir den König an Bord genommen haben?»
Marie-Provence schüttelte den Kopf. «Dieses Anhängsel, wie Sie es nennen, wird nicht auf das Dach kommen, sondern danebenhängen,
da wir den Korb auf die Höhe der Zinnen des donjon bringen werden, um das Kind ein- und aussteigen zu lassen. Was das Festhalten
betrifft: Die Kraft eines einzelnen Mannes reicht dafür nicht aus. Und noch eines: Ich sagte, dass der Schirm vom Korb aus
gelöst wird. Wenn die Apparatur des Schirmes sich also verfängt, werde ich sie einfach abstoßen können.»
«Und den Mann, der an dem Seil hängt, in den Tod schicken?», fragte ihr Vater beißend.
Sie wurde bleich. «Das wird nicht geschehen.»
«Ein fähiger Offizier muss zur Not auch mal einen seiner Männer opfern», sagte Guy de Serdaine kalt.
|326| «Aber, aber!» Saison schüttelte den roten Schopf. «Diesen Weg werde ich nicht folgen, Monsieur. Der Allmächtige weiß, dass
genug Blut vergossen wurde!»
«Wir haben doch den Mann auf dem donjon», fuhr Batz dazwischen. «Er könnte sich auch um Monsieur Levallois kümmern, falls
Bedarf bestünde.»
«Wenn es uns tatsächlich gelänge, dem Publikum bis zuletzt vorzugaukeln, Charles’ Befreiung sei nichts als ein missglücktes
Manöver, haben wir eine reelle Chance.» Assmendi sah Marie-Provence eindringlich an. «Viel wird von Ihrem schauspielerischen
Talent abhängen, Mademoiselle. Sie müssen so tun, als seien Sie von den Ereignissen völlig überfordert. Seien Sie hektisch,
laut, verzweifelt. Gebärden Sie sich hysterisch. Niemand wird vom Boden aus sehen können, was genau da oben und was jenseits
der Einfriedung des donjon passiert.»
«Wir können nicht davon ausgehen, nicht verfolgt zu werden», gab Marie-Provence zu bedenken. «Man wird nach uns suchen, so
viel steht fest. Und ein landender Ballon ist kaum zu übersehen.»
«Wir werden schnell sein müssen», nickte Assmendi. «Der König muss entfernt werden, noch bevor die Garden vor Ort sind.»
«Ich habe keine Ahnung, wo ich landen werde.» Marie-Provence schüttelte den Kopf. «Das ist allein vom Wetter und den Winden
abhängig. Wie soll uns da eine Kutsche finden?»
«Aber die Richtung wirst du kennen», wandte ihr Vater ein.
Sie sah ihn an. «Nur etwa eine Stunde vorher, wenn der Probeballon hochgelassen wird.»
Poura verengte die Augen. «Tauben», sagte er.
Guy de Serdaine pfiff durch die Zähne. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. «Genau. Brieftauben. Wir geben dir Brieftauben
verschiedener Herkunft mit, Marie-Provence. Sobald du das Ergebnis des Testfluges hast, schickst du die Tauben los, die in
der entsprechenden Himmelsrichtung beheimatet |327| sind. Dort werden Wagen bereitgestellt, die dann sofort losfahren können.»
Marie-Provence hatte ihm aufmerksam zugehört und nickte. «Gut.»
«Sonst noch etwas?» Guy de Serdaine sah in die Runde.
Alle schwiegen, in ihre Gedanken versunken, bis Saison plötzlich auflachte. Er schüttelte den Kopf. «Das ist der verrückteste
Plan, von dem ich je gehört habe!», rief er halb ungläubig, halb anerkennend.
Assmendi hob die Schultern. «Verrückt sind wir doch schon lange», sagte er mit einer Spur von Schwermut. «Sonst hätten wir
uns in dem Tollhaus, das dieses Land geworden ist, nicht so lange verstecken können.»
Guy de Serdaine betrachtete Marie-Provence ernst. «Traust du dir das alles zu?»
Ihre Hände wurden feucht, doch sie hielt seinem Blick stand. Wie hieß es immer?
Es ist nicht wichtig, ob du stark bist …
«Keine
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