Die Ballonfahrerin des Königs
André ihm bei.
«Der Garten der Tuileries?», schlug Tallien vor.
«Würde es nicht zwangsläufig zu einem Vergleich mit der Fête de l’Être Suprême führen?», gab Saison zu bedenken.
Barras verengte die Augen. «Dann fällt auch der Champ de Mars aus. Dort endete damals das Fest.»
André nickte. «Ich hielte das offene Gelände auf dem Champ de Mars auch aus praktischen Gründen für ungeeignet. Die Hülle
eines Ballons ist empfindlich und verlangt Schutz. Schon vorhandene Gebäude hätten den Vorteil, die Kosten zu sparen, die
bei der Errichtung eines Schutzdaches anfallen würden.»
Saison musterte Marie-Provence irritiert. Der Journalist war offensichtlich von Marie-Provence’ Zurückhaltung überrascht,
und sie konnte es ihm nicht verdenken. Los, reiß dich zusammen!, mahnte sie sich, denk an Charles. Denk nur an Charles!
Indes fasste Saison zusammen: «Wir suchen also nach |321| einem Ort, der für das ganze Land ein Symbol des Sieges der Revolution über die Monarchie ist, idealerweise bereits eingefriedet,
damit Eintrittsgelder erhoben werden können, bebaut, aber auch mit genügend Freifläche.» Er stutzte, lächelte auf einmal breit
und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
Marie-Provence gab sich einen Ruck. «Weshalb lächeln Sie?», fragte sie.
«Pardon. Es kam mir gerade eine verrückte Idee. Bei dem Stichwort Sieg über die Monarchie musste ich unwillkürlich an die
Capets denken, und an ihr Gefängnis. Und …»
«Der Temple! Natürlich!», rief Thérésia lebhaft.
Marie-Provence schlug die Augen nieder. Das Stück Brot, das sie Thérésia damals überlassen hatte, war eindeutig die beste
Investition ihres Lebens gewesen. Und dennoch – das Gespräch verlief so glatt, dass Marie-Provence versucht war, darin ein
schlechtes Omen zu sehen. Ein ungutes Gefühl beschlich sie, und ihre Ängste und Zweifel von vorhin regten sich erneut.
Tallien lachte auf. «Verzeihung, meine Liebe, aber das ist der größte Humbug aller Zeiten!»
Thérésia ließ seinen Arm los und fragte spitz: «Aber warum denn? Der Ort erfüllt alle Kriterien, die aufgeführt wurden!»
«Bis auf ein kleines Detail: Die wichtigste Geisel der Nation wird dort gefangen gehalten. Da können Sie ja gleich die Zelle
des kleinen Capets öffnen lassen und Führungen zur Besichtigung anbieten!»
Thérésias schöne Augen wurden schmal. «Wenn Sie sich die Mühe geben würden, ein paar Sekunden lang über meinen Vorschlag nachzudenken,
statt ihn lächerlich zu machen, würden Sie ihn vielleicht nicht so dumm finden!»
«Aber meine Liebe, muss ich Ihnen das wirklich erklären?», warf Tallien lächelnd zurück. «Es ist ausgeschlossen, Hunderte
oder Tausende von Menschen mit zweifelhafter Gesinnung in das bewachte Areal zu lassen!»
Marie-Provence hoffte, dass Tallien üblicherweise mehr |322| Fingerspitzengefühl im Umgang mit Thérésia hatte. Die gönnerhafte Art, die er gerade an den Tag legte, trieb seine Geliebte
jedenfalls offensichtlich zur Weißglut. Mit unruhig pochendem Herzen wohnte Marie-Provence dem Disput bei, von dessen Ausgang
so viel abhing.
Thérésia funkelte ihren Geliebten an. «Hunderte von Menschen gehen schon heute täglich im Temple ein und aus. Sie wohnen dort,
sie kaufen dort ein!» Sie drehte sich hilfesuchend zu Barras. Ihre weißen Hände fuhren durch die Luft. «Wenn man die Anzahl
der verkauften Eintrittsscheine beschränkt, besteht meiner Meinung nach keinerlei Risiko. Den Zugang zum donjon kann man nur
durch eine Vielzahl von Toren erreichen, nachdem man sich durch das Häuserlabyrinth gequält hat, das sich an den Palast des
Priors anschließt. Sicher, das Areal, von dem aus der Ballon starten würde, grenzt an die Umfriedung des donjon, doch ich
brauche ihnen wohl kaum zu beschreiben, wie hoch diese Mauer ist und wie unüberwindbar!»
Wie schön Thérésia war, wenn sie sich derart ereiferte! Man musste schon ein Herz aus Stein haben oder am weiblichen Geschlecht
völlig uninteressiert sein, um ihrem Charme nicht zu erliegen. Barras aber war interessiert – und er war gewieft genug, eine
Chance zu erkennen, wenn sich ihm eine bot. Sein Blick lief blitzschnell zwischen dem noch immer spöttischen, aber zunehmend
verunsicherten Tallien und seiner bildhübschen Gastgeberin hin und her.
Schließlich spreizte er eine Hand und hob emphatisch an: «Ein mächtiger Ballon, in den Farben der Nation, der sich vor der
Höhle des letzten Tyrannen
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