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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Grimmig stemmte er abwechselnd die Beine nach vorne und ging in die Knie. Langsam, immer im Takt. Die Strickleiter begann,
     vor und zurück zu pendeln. Er hatte keine Wahl. Er musste mit ihnen mit. Fürs Erste. Und dann würde er sich irgendwann |404| absetzen   … Nun war die Bewegung ausholend genug. André verspürte leichten Schwindel. Seine Verletzung pochte, aber er beachtete sie
     nicht.
Jetzt!
Sein Arm schnellte vor – griff daneben. Sofort verfiel die Leiter in eine unkontrollierte, schlingernde Bewegung.
    André biss die Zähne zusammen.
Nicht nach unten sehen!
Steif und unter Aufgebot seiner ganzen Selbstbeherrschung wartete er, bis sich die Strickleiter beruhigte. Dann spannte er
     die Beinmuskeln wieder an.
    Also los! Noch einmal!
    Diesmal gelang es ihm, die Seide des Schirms zu packen und sie, immer noch auf der Strickleiter stehend, heranzuziehen. Er
     sah hoch. Die gleißende Sonne stach ihm direkt in die Augen. Er hing zu tief, um den Haken zu erreichen, der den Schirm am
     Korbboden hielt. Am Schirm selbst hochzuklettern, wagte er nicht, die Seide war zu glatt. Wenn es stimmte, dass der Schirm
     sich nicht gelöst hatte, weil er ohne André zu leicht war, brauchte er sich nur mit seinem ganzen Gewicht an ihn zu hängen.
    Die Kunst war dabei nur, die Strickleiter nicht loszulassen. André atmete tief ein und aus und klemmte eine Sprosse unter
     seine rechte Achsel, bevor er den Schirm fest mit beiden Armen umklammerte. Ein kleiner Sprung, und auch seine Schenkel umfingen
     den Schirm.
    Im selben Augenblick hörte er ein metallenes Schnappen.
    Noch ehe er begriff, dass sein Manöver geglückt und der Schirm frei war, sackte der Schirm unter ihm weg. Ein Rauschen von
     Seide, eine Berührung, wie der Flügelschlag eines Engels. Ein Wirbel von Farben, blau, weiß, rot. André schrie, als das Gewicht
     des Fallschirms ihn hinunterzog. Die Strickleiter schoss unter seiner Achsel hervor und der Schirm stürzte wild flatternd
     in den Abgrund.
    Andrés ganzes Gewicht hing jetzt an seiner Armbeuge. Seine Beine schlugen unkontrolliert aus. In Andrés pochendem Kopf kreiste
     nur ein Wort.
Halten!
    Und das Entsetzen, als ihm die Strickleiter entglitt.
     
    |405| Marie-Provence stieß einen langen, gellenden Schrei aus.
    Er fiel.
    André fiel!
    Ein, zwei Meter – dann ein unvermuteter, heftiger Ruck. Der Ballon stieß ein Ächzen aus, als sich die Notleine, die André
     sich um die Hüften geknotet hatte, spannte. Unten ein wildes, menschliches Pendel. Arme, die sich hektisch bewegten, nach
     der Strickleiter suchten. Sie ergriffen.
    Marie-Provence schluchzte auf.
     
    Dammartin!
Immer wieder formten Marie-Provence’ Lippen lautlos den Namen der Ortschaft. Bis dahin wollte sie es schaffen. Dort wartete
     ihr Vater mit dem Wagen. Sie spähte nach vorne. Diesen Frühling hatte sie lange die Karten der Umgebung studiert und war sich
     ziemlich sicher, dass das kleine Dorf zu ihrer Linken le Mesnil und das etwas weiter hinten Roissy war.
    Charles schlief. Marie-Provence betrachtete ihn voll schmerzlicher Zärtlichkeit. Die Sonnenstrahlen hatten sein fahles Gesicht
     gerötet, und sein Atem ging in leichten, regelmäßigen Zügen. Was auch immer passierte, heute hatte die Sonne Charles geküsst,
     und heute Nacht würde er die Sterne sehen. Schon allein dafür hatte sich alles gelohnt – oder? Sie fröstelte. Sie wollte versuchen,
     sich in den nächsten Tagen an diesem Satz festzuhalten.
    Als sie Dammartin schräg in der Ferne erblickte, zog sie die Ventilleine und verringerte so die Flughöhe. Dann griff sie nach
     dem Käfig, um die letzten verbliebenen drei Tauben mit einer Nachricht an ihren Vater auf den Weg zu schicken. Doch sie hatte
     nicht mit Charles’ Reaktion gerechnet. Kaum berührte sie den Käfig, erwachte das Kind. Obwohl Charles kein Wort sagte, wurde
     bald deutlich, dass er sich weigerte, ihr die Tiere auszuhändigen. Zum ersten Mal, seit sie den Jungen wiedergesehen hatte,
     blitzten Trotz und Ablehnung auf seinen Zügen auf.
    «Also gut.» Marie-Provence nickte. «Wir machen ein Geschäft, Sie und ich. Eine Taube dürfen Sie behalten. Die zwei |406| anderen brauche ich, damit wir abgeholt werden können. In Ordnung?» Das Kind presste die Lippen aufeinander. Nach ein paar
     Sekunden jedoch lockerte es seinen Griff. Marie-Provence befestigte an zwei Tauben eine Notiz, auf der sie ihrem Vater den
     Landeort mitteilte, und befreite sie.
    «Wir sinken zu schnell», sagte André.
    Er hatte

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