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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Kind zu. «Ja, Monsieur Charles?»
    «Ich bin müde. Lass uns gehen.»
    Überrascht blickte Cadoudal auf den Jungen. Ein zugleich mitleidiger und nachdenklicher Ausdruck überschattete sein Gesicht.
    «Natürlich», sagte Marie-Provence schnell. Sie fasste nach ihm. «Ihre Hände sind eisig!», sagte sie alarmiert. «Wir hätten
     uns nicht so lange im Wind aufhalten sollen.»
    «Wenn Monsieur Charles es erlauben», sagte Cadoudal und verbeugte sich, «wäre es mir eine Freude, ihn nach Hause zu tragen.»
    Charles stand auf, seine magere Gestalt reckte sich. Er wirkte noch schmaler und anfälliger als sonst, als er an dem Koloss
     hochsah. «Ich erlaube es Ihnen», sagte er würdevoll, «denn Sie scheinen mir ein rechtschaffener Mensch zu sein.»
    Als sich die Ohren des Mannes vor Freude tiefrot färbten, schloss Marie-Provence Georges Cadoudal in ihr Herz. Augenblicklich
     hatte der Riese das Kind auf seine breiten Schultern gehievt, und sie traten den Rückweg an. Sie hatten kaum das erste Haus
     erreicht, als sich ihnen vier Männer im Laufschritt näherten. In ihren Gürteln hingen die
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, die gefürchteten Schlagstöcke der Chouans. Sie riefen etwas auf Bretonisch, das Marie-Provence nicht verstand. Plötzlich
     knisterte die Luft vor Anspannung.
    |440| «Ist etwas passiert?», fragte Marie-Provence besorgt, während die Männer wieder davoneilten.
    Cadoudal grinste breit. «Exzellente Neuigkeiten. Die Flotte ist da!»
    «Die englische Flotte?»
    «Hundert Segel sind vor einer Stunde an der Insel Croix vorbeigefahren.» Cadoudal wandte den Kopf schräg nach oben und rief
     dem Jungen zu: «Es heißt, der Graf von Artois sei mit an Bord.»
    Marie-Provence und Charles sahen sich an.
    «Mein Onkel, Marie!», rief Charles. Hoffnung und Freude erhellten sein Gesicht.
    Marie-Provence lachte. «Ihr Onkel, ja!» Sie griff nach seiner Hand, erwischte aber nur Luft, denn Cadoudal trabte bereits
     los. Sie raffte ihre Röcke. «Wo wollen Sie denn so schnell hin?»
    «Na, nach Carnac natürlich! Ein bisschen aufräumen bei den Blauen, um Platz zu machen für unsere Freunde aus England!» Und
     Cadoudal eilte mit einem donnernden Lachen davon, während auf seinen Schultern ein blonder Schopf im Rhythmus seiner riesigen
     Schritte auf und nieder hüpfte.
    ***
    «Warum kommen sie denn nicht?», fragte Marie-Provence ihren Vater zum wiederholten Mal. Sie nagte an ihrer Unterlippe und
     spähte aufs Wasser.
    Der Tag ging inzwischen zur Neige. Der Wind hatte sich gelegt, das Meer zeigte kaum eine Schaumkrone, und die Sonne verschwand
     bereits hinter dem Horizont. Zu Marie-Provence ’ Rechten streckte die Halbinsel Quiberon ihre lange, dünne Zunge in den Atlantik
     vor, eisern bewacht vom gewaltigen Fort Penthièvre, das seinen kastenförmigen Schatten weit über das Wasser warf. Die Trikolore
     über der Festung hing genauso schlaff herunter wie die Segel, die sich in sicherem Abstand in der Bucht drängten.
    |441| Sie selbst standen auf einer felsigen Anhöhe der Bucht, östlich des Städtchens Carnac. Ein Dutzend Männer begleitete sie,
     die bereit waren, mit ihrem Vater die Ausschiffung der Royalisten zu unterstützen und die gegnerischen Republikaner in Schach
     zu halten. Flüchtig betrachtet schien alles ruhig in Carnac. Die grauen Steinhäuser lagen stumm vor dem Hügel, den sie umgaben.
     Diese Erhebung, unter der man ein uraltes Grab vermutete, war ein sagenumwobener Ort, genau wie die Wiese mit den Menhiren,
     die sich weiter nördlich erstreckte. Auch auf dem Hügel hing schlaff die republikanische Fahne. Es strotzte dort unten nur
     so von blauen Uniformen.
    «Worauf warten sie bloß?» Marie-Provence trat von einem Fuß auf den anderen. «Charles hat sich so sehr gewünscht, heute noch
     seinen Onkel zu sehen.» Der Ausflug an den Strand war nicht ohne Folgen geblieben. Seit gestern Abend lag Charles mit leichtem
     Fieber im Bett. Marie-Provence machte sich heftige Vorwürfe, den Jungen überfordert zu haben, und wartete nun schon den ganzen
     Tag sehnsüchtig darauf, ihm die gute Nachricht der Anlandung überbringen zu können.
    «Ich kann es dir nicht sagen, ma chérie. So eine Ausschiffung ist eine heikle Angelegenheit. Die Truppen sind weitgehend ungeschützt,
     wenn sie an den Strand gehen, und da gilt es, sich abzusichern, dass ihnen nicht plötzlich blaue Uniformen im Weg stehen»,
     antwortete Guy ruhig. Sein Fernrohr hielt er fest auf das Flaggschiff gerichtet. «Ah, ich glaube, auf der
Pomone
tut

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