Die Ballonfahrerin des Königs
vor wenigen Stunden besetzt hatten.
Die mittelalterlich anmutende Stadt war am Ende eines langen Meeresarmes errichtet worden, um eine Brücke herum, die über
den Fluss Loch führte. Der hübsche Hafen mit dem Kai aus Granit war einer der drei wichtigsten im Süden der Bretagne. Früher
rüsteten hier die Walfänger, und noch heute wurden Schiffe gebaut. Die Einnahme von Auray bedeutete einen großen Sieg für
die Royalisten. Die |454| Republikaner hatten zudem nur kurz widerstanden; die vierhundert Soldaten der Nationalgarde waren sogar samt ihres Befehlshabers
Glain übergelaufen. Glain, ein Notar, bei dem Cadoudal zwei Jahre als Gehilfe tätig gewesen war, hatte Charles, Marie-Provence
und ihren Vater in seinem Haus aufgenommen.
«Wir hätten nicht hierherziehen sollen. Es ist zu laut – Charles reagiert empfindlich auf den Lärm der Truppen.»
«Auray ist eine Stadt und bietet deren Annehmlichkeiten. Hier wird der König die Pflege bekommen, die er braucht. Ich habe
bereits nach einem Arzt schicken lassen», erwiderte Guy.
«Der sich reichlich Zeit lässt, um zu kommen», gab Marie-Provence scharf zurück.
Ihr Vater betrachtete sie besorgt. «Du solltest auch schlafen gehen.» Er schob ihr seine Suppenschale hin. «Komm, iss das.
Wie lange hast du bei ihm gewacht? Zwölf, vierzehn Stunden? Wir brauchen jemanden, der dir hilft. Du kannst nicht ununterbrochen
an Charles’ Bett sitzen.»
Marie-Provence hob abwehrend die Hand. «Lass uns später darüber reden, Vater», sagte sie müde. «Ich will jetzt keinen Streit
mit dir.»
«Und ich keinen mit dir, ma chérie.» Guy de Serdaine griff nach ihrer Hand und lächelte sie an. Hervilly hatte ihn in sein
Regiment der
Loyal Emigrants
aufgenommen. Er trug eine der neuen roten Offiziersjacken sowie die dazu passenden weißen Hosen und eine weiße Weste und sah
blendend aus.
Doch sosehr Marie-Provence sich auch Mühe gab, sie konnte sein Lächeln nicht erwidern, und sie entzog ihm die Hand. «Wie geht
es bei euch?», fragte sie, um ihren Vater abzulenken.
«Gut», antwortete er eine Spur zu schnell. «Vannes, Muzillac, Carnac und Plouharnel gehören uns. Die Schiffe entladen noch
immer ihre Schätze. Hunderttausend Gewehre, komplette Ausstattungen für sechzigtausend Mann! Wenn ich daran denke, wie mühsam
es war, die letzten Jahre an |455| Waffen zu kommen – es ist ein Reichtum, der die Vorstellungen sprengt. Wir haben auch die Kirchen wiedereröffnen lassen. Du
hättest den Andrang bei der Messe sehen sollen! Der Bischof und seine fünfzig Priester haben alle Hände voll zu tun.»
«Aber?», bohrte Marie-Provence.
«Es gibt Ärger. Hervilly und Puisaye sind unfähig, sich über die Leitung der Manöver zu einigen. Die Chouans tun, was sie
können, aber Hervilly weigert sich, sie mit seinen Truppen zu unterstützen. Puisaye möchte vorpreschen, erobern. Hervilly
wartet ab und hält die Kanonen zurück, ohne die wir das eingenommene Land nur schwer halten können. Und in derselben Zeit,
fürchte ich, ruft Hoche aus allen Ecken Frankreichs eine Armee zusammen.» Er wiegte den Kopf hin und her. «Man erzählt wahre
Wunder über diesen republikanischen General. Es ist nicht gut, wenn wir den Überraschungseffekt aufs Spiel setzen, der uns
überhaupt bis hier brachte.»
«Hoche?», fragte Marie-Provence nachdenklich. Ob es der Hoche war, der Thérésia im Gefängnis von la Force so gut gefallen
hatte? «Es ist doch wahrlich kaum zu glauben, dass die essenzielle Frage der Befehlsgewalt nicht vorher geklärt wurde! Es
muss doch Instruktionen geben! Wer hat denn die beiden Herren in denselben Posten berufen?» Wie allzu oft in letzter Zeit
war ihr Tonfall zu scharf, wenn sie mit ihrem Vater sprach.
«Genau da liegt das Problem. Puisaye ist ein Vertrauter von Artois. Er will sich, wie auch der Prinz, auf die Chouans stützen
und die Hilfe der Engländer annehmen. Hervilly hingegen wurde von Artois’ älterem Bruder, dem Grafen von Provence, ernannt.
Provence hegt eine tiefe Abneigung gegen England und würde alles tun, um nicht gerade diesem Land für die Rettung des Thrones
verpflichtet zu sein. Und was Hervilly von den Chouans hält, hast du am Strand erlebt.»
«Sie sind dem Herrn nicht aristokratisch genug», stieß Marie-Provence spöttisch aus.
«Das trifft den Nagel auf den Kopf.»
|456| Marie-Provence sah ihren Vater an. «Charles hätte das Problem lösen können. Kraft seiner Autorität.»
«Ja,
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