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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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«Steh auf, ich helfe
     dir!»
    Eine kalte Kinderhand schob sich in die ihre, dunkle Augen sahen zu ihr hoch. Ein überwältigendes Gefühl des Verlustes ergriff
     Marie-Provence, so unvermutet, dass sie das Kind fast wieder losgelassen hätte.
    «Komm, wir schaffen das schon», sagte sie rau.
    Sie hasteten weiter. Nach einiger Zeit erreichten sie die ersten niedrigen Schutzwälle. Nur ein schmaler Durchlass führte
     hindurch, und der war hoffnungslos verstopft von Menschen und Wagen. Die Nachzügler warfen ihre Bündel über die Mauer und
     begannen, zuerst die Felsen und anschließend die Wälle zu stürmen. Alsbald hingen ganze Trauben von Menschen an den Steinen.
    Marie-Provence sah auf den Jungen an ihrer Hand. «Was die können, können wir doch auch, oder?»
    Es war kein leichtes Unterfangen, die Mauer zu überwinden, die nur wenig höher als ein Mensch, doch aus ebenen Steinblöcken
     gebaut war, die nur schmale Fugen aufwiesen. Marie-Provence hob den Jungen hoch, der sich geschickt das letzte Stück emporhangelte.
     Nach einiger Zeit hatte auch sie es geschafft, und bald schoben sich beide über den schrägen Mauerabschluss.
    Auf der anderen Seite war das Chaos nicht minder groß. Der zweite Wall war zu hoch, um ebenso erklommen zu werden, aber Gott
     sei Dank war der Zugang, der unter ihm hindurchführte, breiter als der erste. Hektisch und doch mit quälender Langsamkeit
     pressten sich die Flüchtlinge hindurch, die Gesichter geprägt von Angst und Erschöpfung. |497| Marie-Provence tat ihr Bestes, um den Jungen zu schützen, der fest eingekeilt im zähen menschlichen Strom kaum noch Luft bekam.
     Das Geräusch der Schüsse wurde dumpfer.
    Endlich gelangten sie in eine Art Hof. Die Flüchtlinge drängten weiter, auf der Suche nach dem hinteren Durchlass, der sie
     auf die Halbinsel führen würde. Hier sah Marie-Provence auch die ersten roten Uniformen.
    «Marie-Provence, Gott sei Dank!»
    «Vater!»
    Guy und Marie-Provence fielen sich in die Arme.
    Ihr Vater presste sein Gesicht in ihr Haar. «Ich werde mir nie verzeihen, dass ich dich alleine gelassen habe. Ich hatte solche
     Angst um dich! Und dieser verfluchte Hervilly, der nicht gestattet hat, dass ich auf die Suche nach dir gehe», murmelte er
     erbost.
    Marie-Provence folgte seinem Blick und entdeckte den Offizier schräg vor ihr. Hervilly hielt eine Reitgerte in der Hand und
     drosch damit wahllos auf seine nächste Umgebung ein. Unüberhörbar trotz der lärmenden Massen schallte seine Stimme: «In Gottes
     Namen, räumt das Fort auf der Stelle von diesem Gesindel», schrie er. Seine weiße Perücke war in Unordnung geraten, rote Flecken
     prangten auf seinen schmalen Wangen.
    «Es sind zwölftausend Menschen», rief ein untergeordneter Offizier verzweifelt und starrte auf den Menschenstrom, der sich
     an ihm vorbeipresste. «Wie soll ich zwölftausend Menschen räumen?»
    Marie-Provence riss sich von ihrem Vater los und eilte mit geballten Fäusten auf Hervilly zu. «Monsieur, wenn Sie noch einen
     Funken Anstand besitzen, dann schicken Sie Ihre Männer auf diese Mauern, um das Fort zu verteidigen!»
    Hervilly, zunächst überrascht von ihrer Attacke, fasste sich schnell. «Mademoiselle de Serdaine, so groß Ihre Verdienste auch
     sein mögen, ich glaube kaum, dass Ihre Fähigkeiten es Ihnen erlauben, die Lage zu beurteilen!»
    «Es bedarf wohl kaum besonderer Fähigkeiten, um einzusehen, |498| dass dieses Fort bald eingenommen wird, wenn Sie nicht reagieren», schrie Marie-Provence.
    Hervilly schenkte ihr keinen Blick mehr, sondern wandte sich an ihren Vater. «Capitaine de Serdaine?», rief er mit schmalen
     Lippen. «Bitte entfernen Sie Ihre Tochter. Sie stört das Manöver.»
    Marie-Provence lachte schallend. «Manöver? Was denn für ein Manöver?»
    Ihr Vater zerrte sie weg. «Marie, es reicht jetzt!»
    Sie riss ihren Arm frei. «Wo ist Puisaye?», fragte sie. «Warum tut er denn nichts?»
    «Puisaye tafelt gerade mit den oberen Offizieren.» Guy mied ihren Blick.
    «Er tut was?» Marie-Provence starrte ihn fassungslos an. «Ich glaube es nicht. Was sind das für Männer, die sich hinter ihren
     Wällen verschanzen und Tausende von Menschen gedankenlos opfern? Menschen, die sich ihretwegen in dieser verzweifelten Lage
     befinden − Menschen, die ihnen vertraut haben!»
    «Marie, im Krieg herrschen andere Gesetze als gewöhnlich. Du kannst nicht   …»
    «Nein, Vater.» Sie sah sich um. «Wenn Verrat und Ausbeutung die Maßstäbe der

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