Die Ballonfahrerin des Königs
waren. Er schleuderte den Brief auf den Tisch, der vor ihm stand.
«Es freut mich zu sehen, dass Ihre Notsituation nicht so groß ist, wie Mademoiselle de Serdaine befürchtet.»
«Nein, dieser Brief ist gegenstandslos. Sie können ihn und das beiliegende Papier vernichten.» Er hatte Mühe, zu sprechen,
sein Kiefer war starr vor Anspannung. «Darf ich fragen, wie er in Ihre Hände gelangt ist?»
«Einer meiner Leute, die ich zum Observieren auf den Glockenturm von Sainte-Barbe abstellte, fand ihn dort.»
André fühlte, wie er bleich wurde. Nein. Unmöglich.
Sie war hier!
«Ist Ihnen nicht gut?»
Andrés Zunge hing wie ein schlaffes, lebloses Tier in seinem Mund. «Ich bin – überrascht, General», brachte er mühsam heraus.
«Mehr nicht. Ich wähnte die Dame in einer anderen Gegend.»
«In welcher Beziehung stehen Sie und die Verfasserin dieses Briefes zueinander?»
«In gar keiner mehr, General.»
«Dann würde es Ihnen auch nichts ausmachen, Ihre Bekanntschaft mit Mademoiselle de Serdaine für das Wohl der Republik einzusetzen?»
Hoche musterte ihn. Er fragte scharf: «Sie zögern?»
In Andrés Ohren dröhnte es, als sei ihm gerade eine gewaltige |504| Ohrfeige verpasst worden. Er hatte Mühe zu denken, wich aber Hoches Blick nicht aus. «Weil ich fest darauf vertraut hatte,
besagter Dame nie wieder zu begegnen. Nicht, weil ich Gewissensbisse habe», antwortete er langsam und atmete tief durch. Eisig
schloss er: «Wie der Brief bereits erklärte, habe ich keinen Grund, in dieser Sache besonders rücksichtsvoll zu sein.»
«Das hatte ich gehofft. Es verhält sich nämlich so, dass die Republik an dieser Dame interessiert ist.»
Allmählich wurde es wieder klarer in Andrés Kopf. Er verstand, dass nicht nur nach Marie-Provence, sondern vor allem fieberhaft
nach Louis-Charles gesucht wurde, und dass das Kind gefasst werden musste. «Was haben Sie vor?»
«Ich möchte, dass Sie sich mit ihr in Verbindung setzen und ein Treffen mit ihr arrangieren.»
André runzelte die Stirn. «Eine Falle?»
«Würde Ihnen das Probleme bereiten?»
«Ich müsste zumindest darüber nachdenken.» André sah ihn an. «Ich hoffe, Sie glauben nicht, in mir einen einfach zu manipulierenden
Handlanger gefunden zu haben, der aus Rachsucht alle moralischen Prinzipien vergisst. Wenn das der Fall sein sollte, muss
ich Sie enttäuschen.» Zornig sagte er: «Mein Stolz ist alles, was mir bleibt. Noch bin ich nicht so tief gesunken, dass ich
mich selbst vergesse.»
«Ich habe mich erkundigt. Marie-Provence de Serdaine ist die Tochter eines Hauptmanns des Regiments
Loyal Emigrant
. Sie wird sich Zugriff auf viele Informationen verschaffen können. Und sie hat offenbar ein schlechtes Gewissen. Sie könnten
versuchen, ihr so viele Details wie nur möglich über das Fort und die Zustände dort zu entlocken. Es heißt, eine zweite Flotte
aus England hält auf die Küste zu. Deshalb möchte ich die Situation so schnell wie möglich unter Kontrolle bekommen. Am besten
wäre natürlich, die Dame zu einer regelmäßigen Informantin zu machen. Wenn sie allerdings nicht kooperiert, ist eine Festnahme
nicht auszuschließen.»
André schwieg skeptisch. Nur widerwillig erlaubte er sich, |505| über die Frau nachzudenken, die er für alle Zeiten aus seinem Leben verbannt hatte. In einem Punkt war er sich allerdings
sicher: nämlich dass Hoche sie falsch einschätzte. Marie-Provence eignete sich nicht für die Rolle, die ihr hier zugedacht
wurde. André hatte am eigenen Leibe erfahren, wie viel ihr Louis-Charles bedeutete. Wenn eines sicher war, dann dass sie alles
tun würde, um das Kind zu schützen. Weder Vernunft, Drohungen noch Bestechung würden daran etwas ändern. Doch er würde Hoche
seine Zweifel nicht mitteilen. Offiziell war Louis-Charles in Paris in seiner Zelle gestorben. Die Flucht des Kleinen war
ein Staatsgeheimnis, und auch wenn André es für möglich hielt, dass Hoche davon wusste, war das Thema zu heikel und seine
eigene Stellung zu unsicher, als dass er es als Erster anschneiden sollte.
Marie-Provence würde also dank seiner Hilfe festgenommen werden. Er war nicht in der Lage, etwas zu empfinden bei dem Gedanken,
doch das überraschte ihn nicht. Alles, was ihn in seinem früheren Leben einmal bewegt hatte, war vom Flächenbrand der Wut
vernichtet worden, der in ihm aufgeflammt war, als Guy de Serdaine ihn vom Pferd gestoßen hatte.
Sachlich betrachtet hatte Marie-Provence der
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