Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
dafür zu haben. Aber manchmal hängt das Überleben von einer rechtzeitigen Operation ab. Da werden Geschwüre herausgeschnitten, Blockaden beseitigt, manchmal auch nur erkundet, was wirklich vorgeht. Bei Operationen gibt es immer wieder Tote – aber weit mehr Menschen sterben, weil sie nicht operiert werden.«
Der Gelehrte wandte sich an Burgess.
»Zufällig habe ich mir das Endspiel im Nationen-Cup angesehen. Eine unglaublich motivierte Mannschaft. Und als Rodriguez das Siegestor geschossen hat … der Ausdruck auf seinem Gesicht …« Er lächelte bei der Erinnerung daran. »Aber das Ergebnis unserer Berechnungen steht fest. Diese Chance, die Regierungsbildung in einem durch schlechte Politik über Generationen heruntergewirtschafteten Land zu beeinflussen, dürfen wir nicht ungenützt lassen. Das könnte eine der wichtigsten Entscheidungen dieses Jahres sein.«
»Aber lassen Sie uns rein theoretisch noch einmal an das gute Dutzend Männer denken, das an Bord des Flugzeugs sein wird.« Liebman wollte nichts infrage stellen; er wusste, dass Bancroft sich darauf verließ, dass er die unmittelbaren Folgen ebenso aufzählte wie die erhofften zukünftigen Konsequenzen.
»Ein gutes Dutzend junger Männer.« Er tippte auf die zweite Seite des Dossiers. »Drei davon verheiratet. Übrigens auch Rodriguez – seine Frau und er haben schon zwei Mädchen, und sie ist wieder schwanger. Die beiden hoffen auf einen Jungen. Und die Männer haben Eltern, vielfach auch Großeltern. Für diese Menschen wird der Schmerz schrecklich sein und lange anhalten. Tatsächlich wird das ganze Land für einige Zeit in tiefe Trauer gestürzt werden.«
»Und alle diese Faktoren sind in unseren Computermodellen sorgfältig berücksichtigt«, sagte Bancroft ruhig. »Wir würden sie nicht in Betracht ziehen, wenn die Vorteile nicht überwögen. Die Bürger dieses heruntergewirtschafteten Staats – die Kinder dieses Landes – haben Anspruch auf eine nach bestem Wissen getroffene Entscheidung. Sie werden nie erfahren, was wirklich geschehen oder warum es passiert ist, deshalb werden sie uns nie danken. Aber in vier bis fünf Jahren werden sie allen Grund haben, dankbar zu sein.«
»GNGA«, murmelte Burgess andächtig, fast betend.
»Oh, hier habe ich etwas, das eure Laune bessern wird«, flötete Collingwood und hielt eine eben vom Culp Charitable Trust herausgegebene Pressemitteilung hoch. »William und Jennifer Culp finanzieren die Erprobung eines neuen Aids-Impfstoffs in Kenia.«
»Und die Schweinehunde heimsen Ruhm und Ehre dafür ein«, stellte Tracy trocken fest. »Das ist unfair!«
»Ruhm und Ehre sind nicht unsere Motivation«, wehrte Bancroft schroff ab. Trotzdem verzichtete er darauf, allzu viel aus einer gelegentlichen zynischen Bemerkung zu machen; die Männer und Frauen der Gruppe Theta waren Idealisten durch und durch, das wusste er recht gut.
Er wandte sich an Herman Liebman. »Was die Fußballmannschaft angeht … glauben Sie, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe?«
Liebman schwieg einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. »Ganz im Gegenteil, ich weiß, dass Sie die richtige getroffen haben. Die besten Entscheidungen – die klügsten, die wirklich eine Wende zum Besseren bringen – sind oft die, die am meisten schmerzen. Das haben Sie mich selbst gelehrt. Sie haben mich vieles gelehrt, Paul. Und ich lerne noch immer.«
»Genau wie ich«, sagte Dr. Bancroft. »Wissen Sie, Plato hat einmal gesagt, alles Lernen sei in Wirklichkeit Erinnern. Was in meinem Fall durchaus zuzutreffen scheint. Weil man so leicht vergisst, wie borniert die Menschheit in Moralfragen sein kann. Regierungen befolgen eine Politik, die zu Zehntausenden von Toten führt – vorhersehbaren Opfern einer verfehlten Gesundheitsvorsorge. Andererseits geben sie Millionen Dollar aus, um ein einziges Attentat aufzuklären.« Er schüttelte den Kopf. »Die weltweite Aids-Sterblichkeit entspricht pro Tag zwanzig Jumbos, die voll besetzt abstürzen, aber die politischen Führer rühren kaum einen Finger. Im Gegensatz dazu kann der Tod eines einzigen albernen Erzherzogs ganze Nationen in den Krieg hetzen. Ein Kleinkind fällt in einen Brunnen, aus dem es sich nicht mehr selber befreien kann, und fesselt tagelang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Andererseits kann eine Hungersnot die Bevölkerung ganzer Landstriche ausrotten, und die Berichterstattung darüber muss hinter Skandalmeldungen aus dem Leben irgendeiner
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