Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
der Angestellte.
»Und wir zahlen bar. Neunundachtzig plus Steuern macht sechsundneunzig Dollar und siebenundfünfzig Cent, die wir auf hundert aufrunden, wenn’s Ihnen recht ist.« Er zählte dem Mann hinter der Theke sofort fünf Zwanziger hin. »Sie müssen entschuldigen, dass wir’s so eilig haben, aber meine Frau hält’s fast nicht mehr aus – sie konnte sich nicht dazu überwinden, in der Tankstelle aufs Klo zu gehen. Wenn Sie uns also den Schlüssel geben …«
»Um Himmels willen, bitte sehr!« Der Mann legte ihm hastig den Schlüssel hin, und Andrea spielte mit, indem sie so tat, als müsse sie wirklich dringend.
Wenig später waren sie in Zimmer 43 allein. Das Brausen des Verkehrs auf der Interstate klang wie an- und abschwellender starker Regen. In ihrem Zimmer nahm Andrea abgestandenen Zigarettenrauch, die Haarpomade früherer Gäste und den Chemiegeruch von scharfen Reinigungsmitteln wahr.
»Trüge ich einen Hut, würde ich ihn vor Ihnen ziehen«, sagte sie zu Belknap. »Als Schwindler sind Sie ganz große Klasse.«
»Mehr ein LeRoy Neiman als ein Leonardo. Ich meine, wir wollen nicht übertreiben.«
»»Sie sind immer für eine Überraschung gut«, sagte Andrea und atmete tief durch. Jetzt konnte sie ihn riechen – die Flüssigseife,
mit denen er sich auf der Toilette einer Raststätte Gesicht und Hände gewaschen hatte, und das Waschmittel, mit dem sein Hemd gewaschen war –, und das machte die karge Fremdheit des trübe beleuchteten Zimmers irgendwie erträglicher.
»Ein ziemlich beschissenes Zimmer für eine Millionenerbin, was?«
»Das vergesse ich oft«, sagte sie trocken. Aber es stimmte natürlich.
»Im Augenblick können Sie nichts Besseres tun«, stellte Belknap nüchtern fest. »Ihr Geld ist wie ein Funkfeuer. Haben die Theta-Sicherheitsleute überhaupt etwas auf dem Kasten, erfahren sie von jedem Cent, den Sie abheben, und wissen genau, wo und wann Sie am Geldautomaten waren. Das ist etwas anderes als ein Nummernkonto in Liechtenstein. Deshalb müssen Sie Ihr Geld als radioaktiv betrachten, bis die Dinge wieder im Lot sind.«
»Wurzel allen Übels. Kapiert.«
»Das war kein Scherz, Andrea.«
»Schon verstanden«, sagte Andrea leicht gereizt. Sie wich seinem Blick aus. »Okay, wie geht’s nun weiter? Wollen Sie Ihre müden Füße ein bisschen ausruhen? Eine kleine Pause machen, bevor’s wieder auf die Straße geht?« Sie wusste, dass ihre Reaktion irrational war: Die Bekanntschaft mit ihm hatte sie in Gefahr gebracht – und trotzdem fühlte sie sich irgendwie sicherer, wenn sie mit ihm zusammen war.
Belknap fasste ihre Einladung jedoch als reinen Sarkasmus auf. »Macht Ihnen das Sorgen?« Der muskulöse Agent schüttelte den Kopf. »Keine Angst, ich verschwinde gleich.«
Das habe ich nicht gemeint, dachte Andrea. Aber was hatte sie gemeint? Wusste sie das überhaupt?
Er trat ins Freie hinaus, aber bevor er die Tür hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal nach ihr um. Seine schiefergrauen Augen starrten sie durchdringend an. »Erfahren Sie etwas,
das ich wissen muss, sagen Sie’s mir so bald wie möglich. Ich mach’s ebenso. Abgemacht?«
»Abgemacht«, bestätigte Andrea mit hohler Stimme. Die Tür schloss sich klickend, und sie konnte durchs Fenster beobachten, wie der Mann zu seinem Wagen zurücktrabte; sie waren sich darüber einig gewesen, dass es für Andrea am sichersten sein würde, sich am nächsten Morgen ein Taxi kommen zu lassen. Irgendwie wusste sie nicht recht, was sie denken sollte. Er war ein gefährlicher Mann, das stand fest, in dessen Kielwasser es nur Ärger gab. Und trotzdem fühlte sie sich sicherer, wenn sie mit ihm zusammen war. Sie war sich erneut bewusst, dass das keinen Sinn ergab, aber damit musste sie leben.
Die Härte dieses durchtrainierten Körpers, die sichtbaren Narben, die kraftstrotzenden Muskeln, die flinken, wachsamen Augen, die jede mögliche Gefahr registrierten. Andrea fand Angst noch immer lähmend; er hatte sie irgendwie überwunden, konnte sie zu seinem Vorteil einsetzen. Zumindest bildete sie sich das ein. Morgen würde sie jedoch das Archiv aufsuchen, in dem das größte Risiko sicherlich Langeweile war. Was konnte ihr dort sonst drohen? Dass sie sich tausendmal an Papier schnitt und so zu Tode kam?
Versuch jetzt lieber zu schlafen, sagte sie sich. Morgen hast du einen langen Tag vor dir.
Vom Fenster ihres Motelzimmers aus beobachtete sie, wie die Schlusslichter seines Wagens kleiner und kleiner wurden, als
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