Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
brillant einfachen Algorithmus – einem klaren, sauberen, objektiven Maßstab«, fuhr Rinehart fort. »Er hat mir gezeigt, dass Moralität letztlich doch nicht auf subjektiver Wahrnehmungsfähigkeit beruht. Dass es dabei einfach um die Frage des größten Nutzens für die größte Anzahl von Menschen geht. Und dass menschliche Intuition sehr oft irreführend sein kann.« Sein Tonfall wurde lebhaft, sein Blick durchdringend. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gefesselt ich war … erst recht nachdem ich den Mann persönlich kennengelernt hatte. Sein größtes Verdienst ist das rigorose Moralsystem, das er entwickelt hat. Zur Berechnung von Glück.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Die führerlose Straßenbahn. Dieses Beispiel kennen Sie, nicht wahr? Stellt man eine Weiche, wechselt sie das Gleis, sodass es keine fünf, sondern nur einen Toten gibt.«
»Ja, ich weiß«, sagte Andrea gereizt.
»Und das wäre das Rechte. Ganz eindeutig. Aber stellen Sie sich vor, hat Dr. Bancroft gesagt, Sie seien als Chirurg auf Organtransplantationen
spezialisiert. Würden Sie einen Unbekannten töten, um seine Organe zu verwenden, könnten Sie fünf Ihrer Patienten das Leben retten. Was ist logisch gesehen der Unterschied zwischen diesen beiden Fällen? Nun, es gibt keinen. Es gibt keinen , Andrea.«
»Für Sie vielleicht nicht.«
»Die Logik ist kristallklar. Und sobald man sie verinnerlicht, ändert sie alles. Die alten Vorurteile fallen von einem ab. Dr. Bancroft ist der größte, edelste Wissenschaftler, dem ich je begegnet bin. Seine Philosophie hat mir die Möglichkeit eröffnet, mein Leben wirklich in den Dienst des Guten zu stellen. Er hat mir einen Algorithmus geschenkt, der mein Manko ausgleichen konnte und sogar besser war als das, was er ersetzen sollte: wie eine Art bionisches Auge. Das Rechte zu tun, hat er mir erklärt, ist nicht immer einfach – für niemanden. Das erfordert Arbeit. Und Paul hätte Ihnen erzählen können, dass ich ein Arbeitstier bin.«
»Zu mir hat Paul gesagt …« Andrea räusperte sich. »Er hat gesagt, jedes Leben sei wichtig. Was ist mit meinem? Was ist mit meinem , verdammt noch mal?«
»Ach, Andrea. Da Sie gefährlich viel über unsere Organisation wissen, sind entsprechende Maßnahmen unvermeidlich. Aber Ihr Tod wird so wichtig sein wie Ihr Leben.« Seine Stimme klang fast zärtlich.
»Mein Tod«, wiederholte sie dumpf.
»Jedermann auf dieser grünen Erde sitzt in der Todeszelle«, sagte Rinehart. »Das wissen Sie so gut wie ich. Die Leute reden von Mord wie von irgendeiner mystischen Ungeheuerlichkeit, statt ihn als das zu sehen, was er wirklich ist: im Prinzip eine Terminierung.«
»Eine Terminierung.«
»Weil wir gerade beim Thema sind – Sie haben Blutgruppe null, nicht wahr?«
Sie nickte benommen.
»Ausgezeichnet«, sagte Rinehart. »Die Universal-Spenderin. Irgendwelche Erkrankungen wie Hepatitis, HIV, Syphilis, Malaria, Papillome oder sonstige im Blut übertragene Krankheiten?« Sein Basiliskenblick bohrte sich in ihre Augen.
»Nein«, flüsterte sie.
»Hoffentlich haben Sie sich immer vernünftig ernährt. Es ist wichtig, gesunde Organe zu haben, auf den Eisengehalt zu achten und so weiter. Sie wissen, weshalb wir Sie nicht ruhig stellen, denke ich – wir wollen nicht, dass Ihre Organe voller CNS-Blocker sind. Das ist nicht gut für die Empfänger. Ich meine, ich stehe hier vor einer jungen Frau in ausgezeichneter körperlicher Verfassung. Sie besitzen Ressourcen, mit denen sich ein halbes Dutzend Leben retten lassen. Außer Ihrem Blut sehe ich eine Leber, ein Herz, zwei Nieren, eine Bauchspeicheldrüse, zwei Hornhäute, eine erstklassige Lunge und jede Menge Material für Gefäßverpflanzungen. Ich find’s wunderbar, dass Sie nicht rauchen.«
Andrea musste sich gewaltig beherrschen, um sich nicht vornüberzubeugen und sich zu übergeben.
»Passen Sie gut auf sich auf«, sagte Rinehart, als er sich abwandte, um zu gehen.
»Passen Sie auf, Sie perverser Hundesohn«, krächzte Andrea. Nur ihr Zorn verhinderte, dass sie zusammenbrach. »Haben Sie nicht selbst gesagt, dass Todd Belknap jeden aufspüren kann, den er finden will?«
»Gewiss.« Rinehart lächelte, während er an die Stahltür klopfte. »Genau darauf zähle ich.«
Kapitel siebenundzwanzig
Das Commonwealth von Dominica, ein hügeliges Oval zwischen Martinique und Guadeloupe, war eine ehemalige englische Kolonie, worunter seine Küche noch immer litt. Dafür bot die Insel andere Vorteile. Das relativ
Weitere Kostenlose Bücher