Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
herausgesprungen. Todds Loyalität und Dankbarkeit. Gute Charaktereigenschaften, die Sie genutzt haben, um ihn zu schwächen.«
Er nickte mit angedeutetem Lächeln. »Ich bin ein vernünftiger Mann. Einen selten begabten Mann wie Todd hat man gern auf seiner Seite.«
»Und dafür haben Sie gesorgt, als er noch am Anfang seiner Karriere stand. Sie erkannten gleich seine Fähigkeiten, um die Sie ihn beneidet haben. Fähigkeiten, die Sie ausnützen wollten.«
»Sie lesen in mir wie in einem Buch, meine Liebe.«
»Ja, aber sehr ungern.« Sie winkte angewidert ab. »Wie halten Sie’s nur mit sich selbst aus?«
»Verurteilen Sie mich nicht, Andrea.« Rinehart schwieg einige Sekunden lang. »Merkwürdig … Ich führe mit Ihnen das Gespräch, das ich immer gern mit Belknap geführt hätte. Wahrscheinlich hätte er mich so wenig verstanden, wie Sie mich verstehen. Aber versuchen Sie’s, Andrea. Geben Sie sich Mühe! Nicht jeder Unterschied ist eine Behinderung. Vor vielen Jahren war ich bei einem Psychiater. Bei einem sehr bekannten Mann. Im Prinzip habe ich einen Nachmittag bei ihm gebucht.«
»Das sieht Ihnen nicht ähnlich.«
»Ich war damals noch jung. Noch auf der Suche nach mir selbst, wie man so schön sagt. Ich war also in seiner behaglich eingerichteten Praxis in der West End Avenue in Manhattan und habe mein Herz ausgeschüttet. Habe über absolut alles gesprochen. Ein Aspekt meines Wesens hat mich beunruhigt – oder vielmehr hat mir Sorgen gemacht, dass er mich nicht beunruhigt hat, was normal gewesen wäre. Kurz gesagt könnte man’s folgendermaßen ausdrücken, Andrea: Ich bin ohne moralischen Kompass zur Welt gekommen. Das wusste ich schon als Kind. Natürlich nicht sofort. Ich habe diesen Mangel festgestellt, wie andere merken, dass
sie farbenblind sind. Man nimmt wahr, dass andere einen Unterschied sehen, den man selbst nicht recht definieren kann.«
»Sie sind ein Ungeheuer!«
»Das hat mein Bruder mir auch einmal vorgeworfen.« Rineharts Stimme klang gequält. »Als ich älter wurde, habe ich meine Defizite verstanden. Aber ich habe sie nie empfunden . Andere Leute hatten moralische Grundsätze, von denen sie sich leiten ließen, ohne viel nachdenken zu müssen. Die hatte ich nie. Ich musste die Regeln lernen, wie man Benimmregeln lernt, und die Fälle tarnen, in denen ich gegen diese Regeln verstoßen hatte. Wie damals, als mein Bruder angeblich von einem Auto überfahren wurde, dessen Fahrer flüchtete und nie gefunden wurde. Weil ich frühzeitig gelernt hatte, diesen Aspekt meiner Persönlichkeit zu verbergen, bin ich beim Geheimdienst gelandet, vermute ich: Tarnen und Täuschen war mir zur zweiten Natur geworden.«
Andrea war vor Widerwillen fast übel. »Und das alles haben Sie einem Psychiater erzählt?«
Rinehart nickte. »Er war sehr verständnisvoll. Zuletzt hat er gesagt: ›Nun, Ihre Zeit ist um, fürchte ich.‹ Worauf ich ihn als reine Vorsichtsmaßnahme an seinem Schreibtisch mit seiner Krawatte erdrosselt habe. Jetzt frage ich mich natürlich: Hast du zu Beginn der Sitzung gewusst, dass du ihn ermorden würdest? Ich denke, ich muss es gewusst haben, weil ich darauf geachtet habe, in seiner Praxis keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Außerdem hatte ich einen falschen Namen angegeben und so weiter. Und bestimmt hat dieses Wissen, auch wenn es nur unbewusst war, mich dazu befähigt, so offen mit ihm zu sprechen.«
»Wie mit mir.« Diese Worte flüsterte Andrea nur.
»Ich denke, wir verstehen uns.« Das sagte Rinehart nicht unfreundlich.
»Und trotzdem behaupten Sie, dass Sie Gutes bewirken wollen. Dass auch die Gruppe Theta dem Guten dient. Erwarten Sie
wirklich, dass irgendjemand das Urteil eines Soziopathen ernst nimmt?«
»Ist das so paradox?« Rinehart lehnte jetzt an der Wand gegenüber ihrem Bett. Sein Gesichtsausdruck war aufmerksam und desinteressiert zugleich. »Sehen Sie, dadurch hat Dr. Bancroft mein Leben verändert. Weil ich intellektuell den starken Wunsch hatte, mein Leben dem Guten zu widmen. Ich wollte das Rechte tun. Aber es fiel mir schwer, es zu erkennen, und gewöhnliche Menschen schienen sich in ihrem Verhalten von so vielen unterschiedlichen Erwägungen leiten zu lassen, dass ich manchmal außerstande war, selbst tief sitzende Überzeugungen richtig einzuschätzen. Ich brauchte dringend einen eindeutigen Wegweiser zur rechten Tat. Und dann bin ich auf Dr. Paul Bancrofts Arbeit gestoßen.«
Andrea starrte ihn nur an.
»Endlich ein Mann mit einem
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