Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
über den Eisenträger unter der Decke des
Vernehmungsraums geschlungen war. Er baumelte wenige Handbreit über dem Fußboden. Lieber du als ich , sagte der Tunesier sich sarkastisch. Der junge Wachmann wurde sehr langsam erdrosselt; sein Gesicht war dunkel scharlachrot, aus seinem Mund kam ein leises Gurgeln, ein schwacher Luftstrom pfiff durch zusammengepresstes Fleisch und sich ansammelnden Speichel. Jussuf stellte angewidert fest, dass die Hose des Mannes im Schritt dunkel verfärbt war. Obwohl sein Genick gebrochen war, würde der Tod nicht so bald eintreten. Er hatte noch mindestens zwei Stunden bei Bewusstsein zu leben. Reichlich Zeit, um über seine Taten und Untaten nachzudenken. Reichlich Zeit, um über seine Pflichtvergessenheit nachzudenken.
Morgen würden andere die Leiche abholen, das wusste Jussuf, um sie zu beseitigen. Und sie würden sehen. Sie würden sehen, dass Jussuf kein Versagen duldete. Sie würden sehen, dass Jussuf entschlossen war, höchste Standards durchzusetzen. Exempel würden statuiert werden. Schwachstellen würden ausgemerzt werden.
Dafür würde Jussuf Ali sorgen.
Andrea schenkte sich ein Glas Wein ein und ging nach oben, um sich umzuziehen. Sie wollte sich einfach nur normal fühlen. Aber »normal« erwies sich als schwer definierbar. Sie fühlte sich wie … wie Alice im Wunderland, die ein Mittel getrunken hatte, das sie riesenhaft wachsen ließ. Ihr Cape-Cod-Haus, dessen Zimmer um sie herum geschrumpft waren, erschien ihr jetzt wie ein Puppenhaus. Auf dem Flur vor ihrem Schlafzimmer stolperte sie über einen Sportschuh, der zu einem Paar gehörte, das ein Mann mit offenen Schuhbändern achtlos liegen gelassen hatte. Zum Teufel mit Brent Farley, dachte sie einige Sekunden lang verärgert. Gut, dass du den los bist! Noch befriedigender wäre dieser Gedanke gewesen, wenn sie ihre Beziehung beendet hätte, aber das hatte sich nicht so ergeben.
Brent war ein paar Jahre älter als sie: ein Betriebswirt, der bei Greenwich Karriere gemacht hatte und jetzt als Vizepräsident bei einem spezialisierten Rückversicherer für das Neukundengeschäft zuständig war. Er war redegewandt, hatte eine tiefe Stimme, war ehrgeizig – ein Mann, der sich gut kleidete, Squash spielte, als ginge es dabei um sein Leben, seine persönlichen Portfolios mehrmals täglich kontrollierte und selbst bei Verabredungen, die romantisch hätten sein sollen, immer wieder auf sein BlackBerry sah. Darüber hatten sie sich vor gut einer Woche heftig gestritten. »Ich glaube, du würdest mich eher beachten, wenn du jetzt eine E-Mail von mir bekämst«, hatte sie sich in einem Restaurant beschwert. Damit wollte sie eine Entschuldigung provozieren, die sie jedoch nie bekam. Stattdessen eskalierte die Auseinandersetzung, als Brent ihre »kleinkarierte« Mentalität kritisierte; sie »ziehe einen herunter«, behauptete er. Er hatte systematisch seine Sachen in ihrem Haus zusammengesucht, hatte sie in seinem schwarzen Audi TT verstaut und war davongefahren. Kein Türenknallen, keine durch die Gegend fliegenden Sachen, keine quietschenden Reifen in der Einfahrt. Er war nicht einmal richtig wütend – und das hatte Andrea am tiefsten getroffen. Er sprach abschätzig und verächtlich, ja, aber er war nicht richtig wütend. Sie war’s anscheinend nicht wert, dass man ihretwegen in Wut geriet. Offenbar zu kleinkariert .
Sie öffnete ihren Kleiderschrank. Hatte Brent etwas darin zurückgelassen? Anscheinend nicht. Ihr Blick glitt über ihre eigene Kleidung hinweg, und sie fühlte eine gewisse Wehmut, fast einen kleinen Stich ins Herz. Auf gepolsterten Bügeln hingen dort ihre Bürokostüme, ein paar Sachen zum Ausgehen und Freizeitkleidung in allen nur denkbaren Blau-, Pfirsich- und Beigetönen.
Auf ihre Garderobe – nicht groß, aber mit Geschmack ausgesucht – war sie immer ein bisschen stolz gewesen. Sie war Stammkundin in Discountläden wie Filenes Basement und entdeckte hochwertige Kleidungsstücke, die echte Schnäppchen waren, auf
einen Blick wie ein Reiher einen Fisch. Es gab oft Gelegenheitskäufe, wie sie ihren Freundinnen predigte, wenn man in Bezug auf Marken kein Snob war. Viele dieser kleineren Labels wie Evan Picone und Bandolino produzierten sehr hübsche Sachen, die von den Originalen, die sie kopierten, fast nicht zu unterscheiden waren. Rate mal, was ich dafür gezahlt habe – das war ein Spiel, das ihre Freundinnen und sie oft spielten, wenn sie nicht über die Arbeit oder Männer
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