Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
Und er wusste es.
Ein unzerreißbares Band aus Ehre und Treue – auch das war eine tiefe Wahrheit. Dies war die Wahrheit, die ihn in Rom würde aufrechterhalten müssen. Wer Pollux ein Leid angetan hatte, würde niemals mehr vor Castor sicher sein. Diese Leute hatten ihr Recht auf Sicherheit verwirkt.
Sie hatten ihr Recht auf Leben verwirkt.
Die schwere Limousine, die vor Andreas Haus vorfuhr, passte auf absurde Weise nicht zu ihr: ein Mercedes 560 SEL – lang, elegant, schwarz. In ihrer bescheidenen Straße mit kleinen Häusern auf handtuchgroßen Grundstücken war der Wagen so fehl am Platz wie ein Lipizzanerhengst. Der Stiftungsrat trat an diesem Nachmittag zusammen, und wie Horace Linville ihr erklärt hatte, musste man auf der Fahrt zum Sitz der Stiftung im Westchester County mehrmals an Kreuzungen abbiegen, an denen keine Wegweiser standen. Nur so ließ sich sicherstellen, dass Andrea sich nicht verfuhr.
Gegen Ende der zweistündigen Fahrt benützte der Chauffeur eine schmale Straße nach der anderen – viele nur ehemalige Feldwege, die offenbar erst vor Kurzem asphaltiert worden waren. An den meisten standen keine Wegweiser. Andrea versuchte sich zu merken, wo man überall abbiegen musste, aber sie war sich nicht sicher, ob sie den Weg beim nächsten Mal allein finden würde.
Katonah, vierzig Meilen nördlich von Manhattan, zeichnete sich durch eine eigenartige Mischung aus Rustikalität und Wohlstand aus. Das eigentliche Dorf, Teil der Bedford Township, glich einer richtigen Bühnenkulisse mit viktorianischem Charme, aber der wahre Reichtum verbarg sich in seiner bewaldeten Umgebung. Dort besaß nicht nur die Familie Rockefeller einen größeren Landsitz, sondern auch der internationale Finanzier George Soros sowie Dutzende der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Milliardäre. Aus irgendeinem Grund fanden Leute, die in unvorstellbarem
Reichtum lebten, häufig Gefallen daran, sich als Bürger von Katonah zu sehen. Der Weiler trug den Namen des Indianerhäuptlings, dem er im 19. Jahrhundert abgekauft worden war, und trotz seiner ländlichen Reize hatte seine kommerzielle Einstellung – der Handel mit Waren, Immobilien, Wissen, Seelen – sich seither fast unverändert erhalten.
Die unebene Straße begann sich trotz der ausgezeichneten Federung des Mercedes bemerkbar zu machen. »Tut mir leid, aber das letzte Stück ist ein bisschen holperig«, sagte der verbindlich gleichmütige Chauffeur. Das niedrig bewaldete Gebiet, durch das sie fuhren, war aufgegebenes Farmland, das die Natur in den letzten Jahrzehnten zurückerobert hatte. Zuletzt kam ein attraktiver Klinkerbau in Sicht: ein roter Ziegelbau im georgianischen Stil mit Ecksteinen und Simsen aus Portland-Kalkstein. Mit seinen zwei Stockwerken unter einem mit Schiefer gedeckten Mansardendach war es imposant, ohne protzig zu wirken.
»Prachtvoll«, sagte Andrea leise.
»Das?« Der Chauffeur hüstelte, wie um ein kleines Lachen zu tarnen. »Das ist das Pförtnerhaus. Bis zur Stiftung ist’s noch eine halbe Meile.« Der Wagen rollte heran, und das Tor öffnete sich in dem hohen schmiedeeisernen Zaun mit scharfen Spitzen wie von Zauberhand. Sie rollten eine Lindenallee entlang.
»Großer Gott!«, sagte Andrea einige Minuten später. Was aus der Ferne wie ein Erdhaufen, wie ein kleiner Hügel ausgesehen hatte, erwies sich jetzt als weitläufiger, sanft geschwungener Bau aus Stein und Schindeln, der ebenso alt wie ungewöhnlich war. Dies war kein schlossartiges Gebäude im üblichen englischen Landhausstil – hier gab es keine gotischen Erker, keine Bleiglasfenster, keine Gebäudeflügel oder Innenhöfe. Stattdessen bestand das Anwesen aus schlichten Formen – Kegeln, Säulen, Rechtecken – und war aus Holz und einheimischem Sandstein erbaut. Seine Farbpalette aus Erdtönen – üppiges Rostrot, Sepia, Umbra – ließ es mit seiner Umgebung verschmelzen. So wirkte
es umso verblüffender, als Andrea nahe genug herankam, um es richtig wahrzunehmen – seine Größe, die Eleganz aller Details: die weiten ovalen Veranden, die mit überlappenden Schindeln verkleideten Außenwände, die kaum merklich asymmetrischen Formen. Es war gigantisch, aber dabei so unprätentiös, dass seine Riesenhaftigkeit durchaus natürlich wirkte.
Andrea verschlug es den Atem.
»Dieses Haus ist prachtvoll«, bestätigte der Chauffeur, als errate er ihre Gedanken. »Nicht dass Dr. Bancroft viel Verwendung dafür hat. Wenn’s nach ihm ginge, hätte er’s
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