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Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Titel: Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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Paradies; sie wussten, dass um sie herum Armut und Gewalt existierten – beides nicht allzu weit entfernt. Aber hier gab es auch Schönheit, und diese Schönheit enthielt eine Art Wahrheit. Zumindest eine Wahrheit, die sie selbst betraf: ihre Fähigkeit, das Erhabene wahrzunehmen und sich von ihm verzaubern zu lassen. An diesem Riff erlebte er etwas, das er sich bewahren wollte. Dabei war ihm bewusst, dass seine eigene innere Wahrheit kaum eine Chance hatte, seinen Arbeitsalltag zu überleben – genau wie diese leuchtend bunten, vitalen Fische
grau und stumpf wirkten, wenn man sie an die Oberfläche brachte. Erkenne sie jetzt, ermahnte er sich.
    Jener Abend, der mondbeschienene Strand: Die Erinnerung daran war bruchstückhaft, ein Haufen scharfkantiger Scherben. Er konnte sie nicht ins Gedächtnis zurückrufen, ohne sich daran zu verletzen. Fragmente. Yvette und er hatten im Sand getollt. Hatte er sich jemals so unbekümmert sorglos gefühlt? Nie zuvor, und bestimmt niemals wieder. Er glaubte zu sehen, wie Yvette an ihrem Privatstrand auf ihn zulief. Sie war nackt, und ihr Haar – trotz des silbernen Mondlichts goldblond leuchtend – fiel ihr bis auf die Schultern, und ihr glückliches Gesicht strahlte seinerseits. Im selben Augenblick fiel ihm der kleine Fischkutter auf, der in einiger Entfernung vor dem Strand ankerte. Dann zwei kurze Lichtimpulse an Bord des Fischerboots. Hatte er die Mündungsblitze gesehen, oder bildete er sich das nur ein, als er zu begreifen versuchte, was er wirklich sah: die Kugel, die ihre Kehle, ihren weichen, schlanken Hals zerfetzt hatte, und die Kugel, die ihren Oberkörper durchschlagen hatte? Zwei großkalibrige Geschosse, die gemeinsam augenblicklich tödlich gewesen waren. Aber er hatte auch die Geschosse nicht, sondern nur ihre Wirkung gesehen. Er wusste noch, dass Yvette nach vorn gefallen war, als wollte sie ihm um den Hals fallen, und wie sein zunächst gelähmter Verstand sekundenlang gebraucht hatte, um zu begreifen, was passiert war. Er hörte ein Brüllen – wie der ferne kehlige Schrei eines Brüllaffen, wie das Donnern der Brandung, aber noch viel lauter – und merkte nicht gleich, dass es von ihm kam.
    Wo es Schönheit gibt, findet man den Tod.
    Von der Beerdigung in Washington war ihm vor allem im Gedächtnis geblieben, dass es geregnet hatte. Ein Geistlicher sprach, aber der Lautstärkeregler in Belknaps Kopf schien ganz zurückgedreht zu sein: Er sah einen dunkel gekleideten Unbekannten mit professionell ernster Miene, dessen Lippen sich bewegten, als er zweifellos Gebete sprach und rituellen Trost spendete – aber
was hatte dieser Mann mit Yvette zu tun? Belknap spürte nur das Irreale dieser ganzen Szene. Er tauchte wieder und wieder in die Tiefen seines Verstandes hinab und bemühte sich, die leuchtende Wahrheit zurückzuholen, die er an jenem Tag draußen am Korallenriff erfahren hatte. Aber sie war unwiederbringlich verloren. Ihm blieb die Erinnerung an eine Erinnerung, aber die Erinnerung, auf die es ankam, hatte sich in Luft aufgelöst oder war jetzt in einer harten Schale verborgen, die sie für immer unzugänglich machte.
    Es gab kein Belize, keinen Strand, keine Yvette, keine Schönheit, keine zeitlose Wahrheit mehr; es gab nur den Friedhof, eine ungefähr zwölf Hektar große, mit aggressivem Grün bedeckte Fläche mit Blick auf den Anacostia River. Hätte Jared Rinehart ihm nicht unerschütterlich Beistand geleistet, hätte Belknap die Beisetzung wahrscheinlich nicht durchgestanden.
    Rinehart war ein Fels. Der einzig stabile Punkt in seinem Leben. Er hatte gemeinsam mit Belknap um Yvette, aber noch mehr um seinen Freund getrauert. Belknap konnte es jedoch nicht ertragen, bemitleidet zu werden, und Rinehart, der auch das gespürt hatte, hatte sein Mitgefühl durch eingestreute spöttische Bemerkungen abgemildert. »Wüsste ich’s nicht besser, Castor«, sagte Rinehart einmal, indem er seinem Freund einen Arm um die Schultern legte und ihn mit einer Wärme, die seine Worte Lügen strafte, an sich drückte, »würde ich sagen, dass du Unglück bringst.«
    Trotz seiner tiefen Seelenschmerzen hatte Belknap es geschafft, zu lächeln und sogar kurz aufzulachen.
    Dann suchte Rinehart seinen Blick. »Du weißt, dass ich immer für dich da sein werde«, sagte sein Freund ruhig. Er sprach einfach, direkt; ein Treueschwur, den ein Krieger einem anderen leistete.
    »Ich weiß«, erwiderte Belknap, der Mühe hatte, die Worte herauszubringen. »Ich weiß.«

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