Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
längst verkauft und wäre in ein Bed and Breakfast gezogen. Aber das lässt die Satzung angeblich nicht zu.«
»Zum Glück nicht.«
»Sie sind jetzt Mitbesitzerin, denke ich.« Die Limousine hielt auf der mit Kies bestreuten Parkfläche an einer Seite des weitläufigen Gebäudes. Andrea hatte weiche Knie, als sie die wenigen Stufen zu einer Veranda hinaufstieg und das hell beleuchtete Foyer betrat. Ein schwacher Duft nach Bohnerwachs und Möbelpolitur war noch wahrnehmbar. Eine sehr förmlich wirkende Frau begrüßte sie sofort mit strahlendem Lächeln und einem dicken schwarzen Ringbuch.
»Die Tagesordnung«, fügte die Frau – steifes kupferrotes Haar, Stupsnase – erklärend hinzu. »Wir sind entzückt , Sie an Bord zu haben.«
»Ein erstaunliches Haus«, sagte Andrea mit einer Handbewegung, die das Foyer umfasste.
In der von Haarspray steifen Frisur der Frau bewegte sich kein Haar, als sie nachdrücklich nickte. »Es ist 1915 nach Plänen von H.H. Richardson erbaut worden, die er zu seinen Lebzeiten nie verwirklichen konnte. Dreißig Jahre nach seinem Tod war ein Weltkrieg ausgebrochen, und sein Land machte sich bereit, in diesen Krieg einzutreten. Eine dunkle Zeit. Nicht jedoch für die Bancrofts.«
Das stimmt, sagte Andrea sich – hatte es nicht einen Bancroft gegeben, der im Ersten Weltkrieg mit Munition ein gewaltiges Vermögen verdient hatte? Ihr Interesse als Historikerin galt nie der Familie ihres Vaters, aber sie hatte die Grundzüge der Familiengeschichte mitbekommen.
Der Sitzungssaal lag im ersten Stock, und die hohen Doppelfenster führten auf einen in Terrassen angelegten Garten hinaus, dessen Blütenpracht in einer Vielzahl von Farben leuchtete. Andrea wurde zu ihrem Platz an der Längsseite eines langen Tisches geleitet, der sie an eine georgianische Festtafel erinnerte und an dem schon mindestens ein Dutzend Personen – Mitglieder des Stiftungsrats und Angestellte der Bancroft-Stiftung – saßen. In einer Ecke des Raums war eine elegante Tee- und Kaffeetafel aufgebaut. Die Männer und Frauen am Tisch unterhielten sich angeregt, und während Andrea demonstrativ ihr Ringbuch durchblätterte, wurden zahlreiche Dinge erwähnt, die ihr kein Begriff waren: Country Clubs, die sie nicht kannte; Markennamen, die ebenso gut eine Jacht wie eine Zigarre bezeichnen konnten; großartig klingende Internatsschulen, von denen sie noch nie gehört hatte. Dann traten aus einer Tür in der Rückwand des Saals mehrere Männer in dunklen Anzügen und ein weit jüngerer Assistent. Das Gemurmel der Unterhaltung am Tisch erstarb allmählich.
»Das sind die Projektleiter der Stiftung«, erklärte ihr der Mann rechts neben ihr. »Die erstatten jetzt Bericht und erzählen uns, wie’s weitergeht.« Andrea wandte sich ihrem Nachbarn zu: etwas dicklich, grau meliertes aschblondes Haar mit sichtbaren Kammfurchen, weil er zu viel Gel benützte. Sein sonnengebräuntes Gesicht passte nicht zu den weißen, unbehaarten Händen, und der Haaransatz über der Stirn hatte einen leicht orangeroten Farbton angenommen.
»Ich bin Andrea«, sagte sie.
»Simon Bancroft«, stellte er sich mit feuchter Heiserkeit in der Stimme vor. Seine bleigrauen Augen waren ausdruckslos. Und
sein Gesicht blieb eigenartig starr; nicht mal seine Augenbrauen bewegten sich, als er sprach. »Sie sind Reynolds Mädchen, nicht wahr?«
»Er war mein Vater«, antwortete sie mit einer Betonung, die ihm zweifellos entging. Sie war nicht Reynolds Mädchen; sie war allenfalls Lauras Mädchen.
Die Tochter der Verstoßenen.
Sie empfand einen Augenblick lang aufwallende Feindschaft für ihren Nachbarn, als wirke irgendeine alte Blutfehde in ihr nach, aber dieses Gefühl schwand rasch wieder. Wirklich Sorgen machte ihr, das erkannte sie jetzt, nicht das Gefühl, hier fehl am Platz zu sein, sondern das Wissen, dazuzugehören. Außenstehende, Insiderin – was war sie jetzt?
Was wäre, wenn sie darüber entscheiden musste?
Du musst den Hund abschütteln, dachte Todd Belknap sarkastisch. Den Höllenhund abschütteln .
Jeden Kanaldeckel in Rom zierte die Abkürzung SPQR: Senatus Populusque Romanus – Senat und Volk von Rom. Einst eine große politische Geste, überlegte er sich, jetzt kaum mehr als ein Logo wie so viele große politische Gesten. Mit seinem kleinen Brecheisen stemmte er den Deckel hoch und stieg die ins Mauerwerk eingelassenen Leitersprossen hinunter, bis er in dem übel riechenden Tunnel mit fünf Metern Höhe und eineinhalb
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