Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
zu fragen.
»Du hast mir die Worte aus dem Mund genommen«, sagte Belknap. Dann erklärte er Gomes, was er für ihn tun sollte. Er brauchte den jüngeren Agenten nicht daran zu erinnern, für welche Gefälligkeiten er sich revanchieren musste.
In allen internationalen Hotelketten gab es immer jemanden, der den US-Geheimdiensten als Mittelsmann diente, wenn ein besonderer Service verlangt wurde. Es lag in der Natur der Sache, dass ein Unternehmen, das jährlich Hunderttausende von Reisenden beherbergte, gelegentlich auch Kriminelle, sogar Terroristen aufnahm. Für informelle Warnungen versorgte die CIA die Hotels gelegentlich ebenso informell mit Hintergrundinformationen, Warnungen vor potenziellen Sicherheitsrisiken und so weiter.
Gomes würde niemanden im Hotel Palace anrufen; stattdessen würde er mit jemand in der Chicagoer Zentrale der Holdinggesellschaft, der das Hotel gehörte, telefonieren. Daraufhin würde der Angerufene mit dem hiesigen Hoteldirektor sprechen. Fünf Minuten später vibrierte Belknaps Handy lautlos. Gomes
gab ihm den Namen eines stellvertretenden Direktors, der erreicht und darüber informiert worden war, dass er Agent Belknap rückhaltlos zu unterstützen habe.
Und das tat er. Er hieß Ibrahim Hafiz und war ein kleiner, gebildeter Mann Anfang dreißig, vielleicht der Sohn eines Hoteliers, der einen anderen Hotelpalast in den Emiraten führte. In Gegenwart des Amerikaners war er weder mürrisch noch übereifrig. Sie besprachen sich in einem kleinen Büro außer Sichtweite der Gäste. Auf dem aufgeräumten Schreibtisch in dem winzigen Raum standen zwei gerahmte Fotos, die offenbar Hafiz’ Frau und seine kleine Tochter zeigten. Die schlanke, junge Frau mit leuchtend schwarzen Augen lächelte mit einem Ausdruck in die Kamera, der keck und zugleich irgendwie verschämt war. Für den stellvertretenden Direktor musste sie eine notwendige Erinnerung daran sein, was in diesem Reich der Täuschungen real war.
Hafiz setzte sich an seinen Computer und gab die römische Telefonnummer ein. Sekunden später erschien das Suchergebnis auf dem Bildschirm. Die Nummer war ein halbes Dutzend Mal angerufen worden.
»Können Sie mir die Nummer des Zimmers sagen, aus dem die Anrufe gekommen sind?« Lucia Zingaretti hatte ihren Eltern erklärt, sie sei »sehr gut untergebracht« – anscheinend ein gewaltiges Understatement. War sie als Gast im Palace, wohnte sie wahrhaft fürstlich.
»Die Zimmernummer?« Der Manager schüttelte den Kopf.
»Aber …«
»Es war jedes Mal ein anderes Zimmer.« Er tippte mit der Verschlusskappe seines Füllers auf eine Zahlenkolonne.
Wie konnte das sein? »Ihr Gast hat also in verschiedenen Zimmern gewohnt?«
Hafiz musterte ihn, als sei er schwer von Begriff. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Er klickte einige der Zimmernummern
an und öffnete damit ein Kästchen, in dem der Name des jeweiligen Gasts und die Dauer seines oder ihres Aufenthalts standen. Alle Namen waren unterschiedlich; alle waren Männernamen.
»Dann wäre sie also …«
»Was glauben Sie?« Das war eine Feststellung, die nicht einmal besonders höflich war. Lucia Zingaretti arbeitete als Callgirl, als »Hostess«, und da sie im Hotel Palace verkehrte, war sie bestimmt sehr teuer. Telefonierte sie gelegentlich aus den Zimmern, die sie besuchte – vielleicht während sie auf der Toilette war –, dachten ihre Kunden sicher nicht daran, sich beim Auschecken über die zusätzlichen Telefongebühren zu beschweren.
»Können Sie mir die Namen der Mädchen geben, die hier arbeiten?«
Hafiz sah ihn ausdruckslos an. »Ist das ein Witz? Das Hotel Palace duldet solche Aktivitäten nicht. Wie könnte ich also etwas darüber wissen?«
»Sie sehen absichtlich weg, meinen Sie.«
»Ich sehe gar nichts. Reiche Leute aus dem Westen kommen hierher, um sich zu amüsieren. Wir sind ihnen in praktisch jeder Hinsicht gefällig. Sie werden in der Halle gesehen haben, dass wir den ganzen Tag eine scharmuta durchs Aquarium schwimmen lassen.« Scharmuta war der arabische Slangausdruck für Nutte oder Hure, und Hafiz spuckte das Wort mit unverhülltem Abscheu aus. Es war zwar sein Beruf, die Fantasien seiner Gäste zu erfüllen, aber er würde niemals vorgeben, sie zu billigen. Dann merkte er, dass Belknap das Foto seiner Frau betrachtete, und legte es mit einer raschen Bewegung auf die Bildseite. Er war keineswegs verärgert, aber das unverschleierte Gesicht seiner Frau war nicht für die Augen von Fremden bestimmt.
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