Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
erteilt. Zahlenreihen bewirkten Überweisungen von Nummernkonten auf andere Nummernkonten, bewegten Hebel, die andere Hebel bewegen würden, und zogen Drähte, die andere Drähte ziehen würden.
GENESIS. Für manche bedeutete es wirklich Anfang. Für andere bedeutete es den Anfang vom Ende.
Tom Mitchell fühlte sich wie zerschlagen. So fühlte er sich nach ungewohnten Anstrengungen oder Alkoholexzessen. Angestrengt hatte er sich nicht. Ein Ausleseverfahren, richtig? Angestrengt blinzelnd sah er in den Mülleimer unter dem Ausguss. Er war voller Bierdosen – »Tinnies«, wie seine australischen Freunde sie nannten. Wie viele Sechserpacks hatte er geleert? Sein Kopf schmerzte, wenn er daran dachte. Sein Kopf schmerzte auch, wenn er’s nicht tat.
Die Fliegengittertür klapperte lärmend im Wind – als gingen lauter Blendgranaten hoch, fand er. Eine Wespe summte durch den Raum, und er hatte das Gefühl, ein Jagdflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg über sich zu haben. Das Telefon hatte vorhin geklingelt und wie eine Luftschutzsirene geklungen.
Vielleicht war es gewissermaßen eine Luftschutzsirene gewesen. Castor hatte angerufen – und nicht etwa nur, um sich eine Tasse Zucker auszuleihen. Unwichtig. Er war kein Mann, zu dem man Nein sagte, und Tom Mitchell – im Dienst war sein Deckname Navajo Blue gewesen – rechnete sich aus, dass er froh
sein musste, Gelegenheit zu bekommen, seine Schuld zu bezahlen. Niemand wollte den Spürhund gegen sich aufbringen, das stand verdammt noch mal fest. Denn der Spürhund hatte scharfe Zähne, und sein Biss war schlimmer als sein Bellen.
Die sanfte Heiterkeit seiner ländlichen Idylle in New Hampshire ging Tom ohnehin auf die Nerven. Er eignete sich nicht für ein beschauliches Leben, das war das Fazit. Es war zu viel verlangt, wenn seine Sauferei für alleinige Aufregung sorgen sollte, die ihm im Alltag fehlte.
Sheila hatte die alte Farm aufgespürt. Ein Fachwerkbau, was zum Teufel das auch bedeutete. Breite Bodendielen unter den Pressspanplatten – diese Entdeckung hatte sie bejubelt, als habe sie Tutanchamuns Grab gefunden. Nicht allzu weit von ihnen entfernt standen an der gleichen Straße schäbige Holzhäuser und beschissene Bungalows, während auf der Fahrbahn totgefahrene Waschbären lagen, jeder mit seiner eigenen Wolke aus Schmeißfliegen. Aber hinter dem Haus lag genügend bewaldetes Gelände, das er manchmal mit seiner kurzläufigen Ruger durchstreifen konnte, um ein paar Eichhörnchen von den Bäumen zu pusten, weil Eichhörnchen für ihn der Vietcong der Nagetiere waren. Seine Futterspender waren nur für gefiederte Tiere bestimmt: Jede Baumratte, die sich daraus bediente, tat das auf eigene Gefahr.
Das war nicht die Ironie des Schicksals, die in diesem ganzen einfachen Leben steckte. Dreißig Jahre langes Umherziehen auf dem gesamten gottverdammten Planeten im Dienst der Vereinigten Staaten von Amerika – darunter monatelange Einsätze ohne Funkverbindung –, und Sheila hält treu zu ihm. Dreißig Jahre … genauer gesagt dreißigeinhalb. Seine Frau durch dick und dünn. Immer überglücklich, wenn er zurückkam, aber stets bemüht, ihm zu starke Schuldgefühle zu ersparen, wenn er wieder fortmusste. Und nun der Lohn für all diese Entbehrungen: Sie bekommt ihren Ehemann ganz für sich, wie’s sein sollte,
nicht wahr? Sie kaufen sich das Refugium auf dem Lande, von dem sie immer geredet haben. Mit ein paar Hektar Land, größtenteils bezahlt. Endlich ihr eigenes Paradies, wenn einen die Fliegen im Sommer nicht stören.
Sheila hatte es hier draußen nur etwas über ein Jahr lang ausgehalten. Mehr hatte sie nicht verkraftet. Wahrscheinlich war sie in dieser Zeit länger mit ihm zusammen als in den vergangenen drei Jahrzehnten. Was offenbar das Problem war.
Sie hatte versucht, es ihm zu erklären. Sie sagte, sie könne sich nicht daran gewöhnen, ihr Bett mit jemandem zu teilen. Sie sagte alles Mögliche. Ihnen gehörten gut drei Hektar Wildnis in New Hampshire, und sie beklagte sich, sie habe nicht genug »Freiraum«. Sheila brach nach Chapel Hill auf, wo ihre Schwester lebte, die ihr eine Wohnung besorgt hatte. Obwohl sie beide eher schweigsam waren, hatten sie am Tag vor ihrem Auszug einiges miteinander geredet. Sie sagte: Ich langweile mich . Er sagte: Wir könnten das Kabelfernsehen abonnieren.
Tom würde den Blick, den Sheila ihm zugeworfen hatte, nie vergessen. In erster Linie mitleidig. Nicht zornig, aber enttäuscht, wie man einen
Weitere Kostenlose Bücher