Die Bank
fällt hinter ihm ins Schloß, und ich schaue durch das Guckloch. Charlie springt die Stufen hoch. »Mach ihn auf und find’s raus!« schreit er, und dann ist er weg.
Zehn Minuten nachdem Charlie gegangen ist, sitze ich immer noch an meinem Küchentisch und starre auf den Umschlag. Der Kühlschrank hinter mir summt, die Heizung klappert, und das Wasser im Kessel fängt gerade an zu kochen. Ich rede mir ein, daß ich einfach nur Lust auf eine Tasse Instantkaffee habe, aber mein Unterbewußtsein kauft mir das nicht eine Sekunde lang ab.
Ich rede nicht davon, das Geld zu stehlen. Es geht nur um meinen Boß. Es ist wichtig zu wissen, was er denkt.
Draußen rauscht ein Wagen vorbei und rumpelt durch die riesigen Schlaglöcher vor dem Haus. Ich sehe durch die Oberlichter meiner Fenster die schwarzen Reifen des Wagens. Das ist der einzige Blick, den ich aus einer Souterrainwohnung habe. Der Blick, wie sich alles andere weiterbewegt.
Das Wasser kocht, und der Kessel pfeift. Es ist ein schriller Ton, der in der kahlen Küche unangenehm hallt. Nach einer Minute hört sich das schrille Geräusch an, als dauere es schon ein Jahr. Oder zwei. Oder drei.
Auf dem Tisch liegt die jüngste Rechnung des Coney Island Hospitals. 81450 Dollar. Das passiert, wenn man eine Versicherungsprämie nicht bezahlt, um andere Kosten zu begleichen. Zwei Jahrzehnte von Moms Leben. Zwei Jahrzehnte Sorgen. Zwei Jahrzehnte in der Mühle. Es sei denn, ich hole sie da raus.
Mein Blick gleitet zu dem blauweißen Umschlag. Was da drin ist, was Lapidus geschrieben hat … Ich muß es wissen. In unser aller Interesse.
Ich nehme den Umschlag und stehe so schnell auf, daß der Stuhl umkippt. Bevor ich mich versehe, stehe ich vor dem Kessel und sehe zu, wie der kleine Dampfgeysir in die Luft steigt. Mit einer kurzen Daumenbewegung öffne ich die Tülle des Kessels. Das Pfeifen hört auf, und die Dampfsäule wird dicker.
Der Umschlag zittert in meinen Händen. Lapidus’ Unterschrift wird durch diese Bewegung undeutlich, so perfekt sie auch ist. Ich muß sie einfach nur in den Dampf halten. Aber als ich das tun will, erstarre ich. Mein Herzschlag setzt aus, und alles verschwimmt wie im Nebel. Es ist dasselbe wie bei der Überweisung für Tanner Drew in der Bank …
Ich packe den Umschlag fester und sage mir, daß dies hier überhaupt nichts mit Charlie zu tun hat. Im nächsten Augenblick packe ich den unteren Rand des Umschlags, halte die zugeklebte Stelle über den Dampf und bete zu Gott, daß es genauso funktioniert wie in den Filmen.
Der Umschlag wellt sich sofort in dem Dampf. Ich arbeite mich von den Ecken vor und halte den Rand an den Kessel. Der Dampf wärmt meine Hände, und als ich ihn zu nahe heranhalte, verbrenne ich mir die Fingerspitzen. Ich schiebe, so vorsichtig ich kann, meinen Daumen in den Rand des Umschlags und versuche, die Lasche einen Zentimeter aufzuklappen. Es sieht aus, als würde er reißen, aber gerade als ich aufgeben will, löst sich der Kleber. Von da an kann ich ihn aufziehen wie ein Heftpflaster.
Ich werfe den Umschlag zur Seite und klappe den zweiseitigen Brief auf. Meine Augen überfliegen den Text und suchen nach Schlüsselworten, aber es ist so, als öffnete ich einen Zusagebrief des Colleges. Ich kann den Text kaum entziffern. Langsam, Oliver, sage ich mir. Fang oben an.
Lieber Dean Milligan. Sehr persönlich. Gut. Ich schreibe bezüglich Oliver Caruso, der sich als Kandidat für Ihr MBA-Programm beworben hat … war Olivers Supervisor während der letzten vier Jahre … muß leider sagen … Muß leider sagen? … daß ich Oliver nicht guten Gewissens als Kandidaten für Ihre School empfehlen kann … Auch wenn es mich sehr schmerzt … Mangel an Professionalität … Frage der Reife … in seinem Interesse … würde er sicher noch von einem Jahr praktischer Erfahrung profitieren …
Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich umklammere den Brief und zerknülle die Seiten. Tränen treten mir in die Augen. Und irgendwo … jenseits der Bullaugen … hinter der Brücke … könnte ich schwören, daß ich jemanden lachen höre. Und mitkriege, wie jemand spottet: »Ich hab’s dir ja gesagt!«
Ich wirble herum, laufe zum Schrank und reiße den Mantel heraus. Wenn Charlie den Bus genommen hat, kann ich ihn noch einholen. Als ich den Mantel anhabe, schnappe ich mir den Brief, reiße die Wohnungstür auf und …
»Und?« fragt Charlie. Er sitzt auf der Treppe. »Was gibt’s Neues in Whoville?«
Ich
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