Die Bank
meine Oberarme mit seinen Knien fest. Ich schlage wie wild um mich und versuche meine Arme zu befreien. Doch er ist zu schwer. Ich sehe ihm in die Augen. Sein Blick ist seltsam ausdruckslos, als wäre er nicht mehr bei Sinnen. Shep ist mittlerweile alles gleichgültig. Ich bin ihm gleichgültig, die Bänder, sogar das Geld …
Er preßt seine Knie noch fester auf meine Oberarme und hebt das Glas wie eine Guillotine. Sein Blick ist starr auf meinen Hals gerichtet. Diesen Hieb überlebe ich nicht. Ich flüstere eine Entschuldigung für Charlie. Und eine für Mom. Dann schließe ich die Augen, wende den Kopf ab und warte auf den Tod.
Aber dann höre ich einen Schuß. Und dann kurz hintereinander zwei weitere. Shep zuckt heftig bei jedem Einschlag. Blut quillt aus seinem Mund. Das Glas fällt ihm aus der Hand und zerbirst auf dem Boden. Und als sein Arm matt heruntersinkt, wankt auch Sheps ganzer Körper und kippt zur Seite.
Ich folge dem Geräusch und sehe sie auf dem Boden sitzen. Sie ist nicht mehr bewußtlos, sondern hellwach. Joey. In dem Gegenlicht kann ich nur ihre Umrisse erkennen und den Rauch, der sich aus der Mündung ihrer Pistole kräuselt.
Sie rappelt sich hoch, läuft zur Wand und schlägt mit dem Griff ihrer Waffe die Scheibe vor dem Feueralarm ein. Das schrille Klingeln zerreißt die tödliche Ruhe, dann wirbelt Joey herum und läuft zu meinem Bruder.
»Charlie!« schreie ich. »Charlie!« Ich versuche mich aufzurichten, aber mein Arm fühlt sich an wie Feuer. Ich kann meine Finger nicht mehr bewegen. Mein ganzer Körper zittert, als der Schock einsetzt.
Ein halbes Dutzend Sicherheitsbeamte von Disney World strömen durch den Eingang ins Lagerhaus. Sie laufen alle auf mich zu. Joey hockt bei meinem Bruder. »Bitte bleiben Sie ruhig sitzen, Sir«, sagt einer der Wächter und hält meine Schultern fest, damit ich mich nicht rühre. Vier andere Wachen knien sich neben Charlie und versperren mir die Sicht.
»Ich kann ihn nicht sehen!« schreie ich und verrenke mir fast den Hals. Niemand rührt sich. Sie sind von Sheps Leiche fasziniert.
»Er hat einen Herzfehler! Er braucht Mexiletin!« rufe ich Joey zu. Sie leistet schon Erste Hilfe, aber je mehr ich mich winde, desto mehr fängt der Raum an sich zu drehen. Schließlich schlägt die Welt einen Purzelbaum und dann noch einen. Mein gefühlloser Arm scheint sich über meinen Kopf auszudehnen wie ein Gummiband. Der Wachmann sagt etwas, aber ich höre nur ein monotones Rauschen. Nein, werd jetzt nicht ohnmächtig , sage ich mir. Ich schaue an die Decke. Es ist schon zu spät. Das Leben droht ganz in Schwarz zu versinken. »Lebt er noch? Sagt mir, ob er noch lebt!« schreie ich, so laut ich kann.
Weitere Sicherheitsleute stürmen in das Lagerhaus. Ihre Schreie sind auch nur monotones Rauschen. Dann umfängt mich eine furchtbare Dunkelheit.
88. Kapitel
Wie Charlie vorhergesagt hat, sind die Blicke das schlimmste. Nicht das Flüstern, die unverhohlenen Gesten, nicht einmal die Art und Weise, wie sie wortlos an mir vorbeigehen, als der Klatsch sich wie ein Lauffeuer im Büro verbreitet. Damit kann ich leben. Aber als ich in dem stilvollen Konferenzraum im Erdgeschoß sitze und durch die trennende Glaswand meine ehemaligen Mitarbeiter betrachte, komme ich mir vor wie ein Affe im Zoo. Sie hasten durch das Labyrinth der Rollschreibtische und tun ihr Bestes, einen auf cool zu machen, aber jedesmal, wenn einer vorbeigeht oder aus dem Aufzug tritt, drehen sich ihre Köpfe für einen kurzen Moment in meine Richtung. Dann werfen sie mir diese Blicke zu: teils neugierig, teils vorwurfsvoll.
Es ist zwei Wochen her, seit sich die Neuigkeiten herumgesprochen haben, aber erst heute bekommen sie die Chance, sich selbst ein Bild zu machen. Und auch wenn die meisten sich längst eine Meinung gebildet haben, gibt es immer noch einige, die wissen wollen, ob es wirklich stimmt. Ihnen gegenüberzutreten fällt am schwersten. Was immer Charlie und ich auch unternommen haben, um die Sache wieder geradezubiegen, es war nie unser Geld.
Ich sitze fast eine geschlagene Stunde da, lasse mich von ihren Blicken und ihrem Flüstern und ihren Gesten quälen. Wenn ich versuche, jemanden anzusehen, schaut der Betreffende im selben Moment zur Seite. Meistens arbeiten nur die niederen Sachbearbeiter im Eingangsbereich. Aber heute hat nach fast einer halben Stunde so ziemlich jeder Angestellte der Bank einen Vorwand gefunden, um nach unten gehen und den Affen hinter dem Glas besichtigen
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