Die Bankerin
Hellseher, Weltuntergangspropheten, Mahner mit erhobenem Zeigefinger sagten, dies wären die Zeichen der Zeit, und das Ende der Menschheit sei endgültig eingeläutet, und es gäbe nichts, was man dagegen noch tun könnte.
Der für Johanna und die Kinder bestimmte Wohnwagen war zum Beziehen bereit, die altgewordene Frau – sie hatte die Siebzig längst überschritten, doch sie verfügte noch über jenen jugendlichen Elan, den nur wenige alte Menschenhaben – empfing sie im Badeanzug. Der Himmel war wie in Frankfurt blau, doch das Blau war heller, etwas strahlender, kein Smog, kein Dreck, der sich wie ein Schleier darüberlegte, die See, in dieser Ecke noch sauber, hatte kaum je zuvor erlebte 24 °C.
Als David sich am Sonntagmittag verabschiedete, weinte Johanna. Sie sagte: »Fahr vorsichtig und bitte, trink nicht soviel. Ich habe lange meinen Mund gehalten, aber ich weiß, daß irgend etwas mit dir nicht in Ordnung ist. Was immer es auch sein mag. Doch Alkohol ist kein Problemlöser.«
»Hast du mich schon einmal betrunken gesehen?« fragte David.
»Betrunken!« Sie seufzte auf. »Nein, nicht wirklich betrunken. Doch auch das kommt unweigerlich irgendwann. Alkohol kommt vom Teufel, und der will deine Seele. Und hierbei geht es weniger um mich als um dich. Und du kannst mir auch nicht weismachen, daß du den Glauben an Gott vollständig verloren hast. Wir sind doch auf dem besten Weg aus der Misere, und ich denke, Gott hat daran entscheidenden Anteil …«
»Hör doch bitte endlich mal auf mit diesem Gott!« bat David.
»Ich kann aber nicht, es ist meine Überzeugung. David, bitte, hör auf zu trinken! Wenn nicht für mich, dann wenigstens um deiner selbst willen.« Sie sah ihn für einen Moment flehend an. Dann sagte sie: »Und jetzt hoffe und bete ich nur noch, dieser Mistkerl von Anrufer wird sich nicht mehr melden. Grüß Alexander von mir. Und noch was – ich liebe dich. Ich habe es dir lange nicht gesagt, aber es wird nie einen anderen Mann in meinem Leben geben.« Dann küßte sie ihn, er umarmte die Kinder und streichelte ihnen über die Wangen, als sähe er sie zum letzten Mal. Als er den Campingplatz verließ, weinte auch er.
Als er zurück in Frankfurt war, rief er auf dem Campingplatz an, um Bescheid zu sagen, daß er gut heimgekommen war.Er war noch allein. Alexander hatte am Freitagabend eine große Tasche gepackt, einen Schlafsack unter den Arm geklemmt und sich für das Wochenende abgemeldet. Ein Freund feierte seinen achtzehnten Geburtstag, und die Fete sollte bis Sonntagnacht durchgehen.
Die Anstrengung der beiden Tage hatte deutliche Spuren in Davids Gesicht hinterlassen, er hatte nur wenig gegessen und kaum etwas getrunken, dafür Unmengen Wasser durch Schwitzen verloren. Sein Mund war ausgetrocknet, sein Magen schmerzte. Er holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, schraubte den Verschluß ab und trank sie in zwei Zügen leer. Er rülpste langgezogen und stellte die Flasche auf den Tisch. Er machte den Fernsehapparat an, ließ sich Wasser in die Wanne laufen. Ein Verrückter hatte seine Musikanlage auf der Wiese aufgebaut und mit einem etwa fünfzig Meter langen Verlängerungskabel in seiner Wohnung angeschlossen, und seit einer Viertelstunde dröhnte in kaum auszuhaltender Lautstärke das immer gleiche Lied
Weather with you
aus den Lautsprechern. David fluchte leise vor sich hin und schaute aus dem Fenster, eine Gruppe junger Leute hatte sich um den Verrückten geschart, eine offensichtlich betrunkene Frau zog ihr Oberteil aus und tanzte mit freiem Oberkörper zu der Musik, ihre dicken Hängebrüste hüpften bei jeder Bewegung wie prallgefüllte Weinschläuche, die Umstehenden klatschten und grölten begeistert. Eine alte Frau schrie aus dem Nachbarhaus, sie würde die Polizei holen, wenn der Krach nicht sofort aufhörte, doch die Meute lachte sie nur aus, ein junger Mann streckte ihr den rechten Mittelfinger entgegen. David schaute nach dem Wasser, die Wanne war halbgefüllt, er schnitt sich zwei Scheiben Brot ab, schmierte Butter und Leberwurst drauf und aß eine saure Gurke dazu. Sein Kopf war leer, nur in seiner linken Schläfe hockte ein kleiner, böser Mann und piesackte ihn in einem fort mit spitzer Nadel; nicht einmal zwei Aspirin halfen, ihn zu vertreiben.
Das Telefon klingelte, nachdem die Polizei den Störenfried von der Wiese vertrieben hatte und die gewohnt laute Ruhe vor dem Haus wieder eingekehrt war und David sich bereit machte, ins Bett zu
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