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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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einen Mörder, auch nicht auf einen Menschen, der jemanden anheuerte, diese schmutzige Arbeit für ihn zu erledigen.

Mittwoch, 20.00 Uhr
    Mittwoch abend fuhr David mit Esther auf ihren Wunsch hin auf die Aussichtsplattform des Fernmeldeturms, anschließend kehrten sie bei einem Chinesen ein. Esther hatte sich dezent geschminkt und damenhaft gekleidet, und sich mit ihr zu unterhalten bereitete David große Freude. Sie verfügte über ein umfangreiches Allgemeinwissen, und sie konnte sich, wenn sie wollte, sehr gewählt ausdrücken. Doch manchmal brach auch ein wenig damenhafter Fluch aus ihrem zarten Mund hervor, vor allem, wenn das Gespräch auf ihre Mutter kam.
    Nicole hatte wieder einmal zuviel getrunken und war auf der Couch eingeschlafen. Sie wurde wach, als Esther die Beleuchtung anknipste. Sie setzte sich aufrecht hin und rieb sich die Augen, zündete sich eine Zigarette an und meinte, als Esther die Klinke der Badezimmertür herunterdrückte: »Moment mal, bitte. Stellt euch doch mal nebeneinander.«
    »Warum denn das?« fragte Esther kratzbürstig.
    »Nun macht schon! Nur einmal.«
    »Also gut, und jetzt?« Esther stand direkt neben David. Nicole spitzte die Lippen, ein nicht zu deutendes Lächeln umspielte ihren Mund.
    »Wißt ihr eigentlich, daß ihr euch ähnlich seht? Tatsächlich«, sagte sie, »ihr seht euch so ähnlich, als wäret ihr Vater und Tochter. Hm, na ja, ihr könntet sogar als Geschwister durchgehen. Ja, eigentlich würde ich euch für Geschwister halten.«
    »Spinnst du?« sagte Esther und tippte sich an die Stirn.
    »Wieso? Schaut in den Spiegel und sagt selbst, ob ich nicht recht habe.«
    »Wir und Geschwister! Ha, ha, ha! Daß ich nicht lache!«
    »Es ist nur mein Eindruck, aber bitte, wenn ihr nicht wollt.«
    »Komm«, sagte David und zog Esther mit sich ins Bad, »tun wir ihr den Gefallen.«
    Nicole kam ihnen nach und blieb an den Türrahmen gelehnt stehen. »Na, hab ich recht?«
    »Wir sind zumindest fast gleich groß. Und wenn ich mir die Haare färben würde und die Augen irgendwie braun wären und … Du spinnst wirklich«, sagte Esther und wandte sich ab.
    »Die Gesichtszüge, schau auf nichts als die Gesichtszüge. Den Mund, die Form der Augen, die Nase, das Kinn. Die leicht hervorstehenden Wangenknochen, selbst die Ohren. Vergeßt die Haar- und die Augenfarbe. Sogar die Art, wie ihr die Stirn in Falten legt, hat eine gewisse Ähnlichkeit. Ihr müßt ganz genau hinsehen.«
    Esther ging zurück zu David. Nach einer Weile bemerkte sie leise: »Sie hat tatsächlich recht. Na ja, deine Nase ist etwas größer und deine Haut faltiger, aber das hat wohl was mit dem Alter zu tun«, meinte sie kichernd. »Nun gut, und was willst du uns damit sagen?« fragte sie ihre Mutter.
    »Nichts«, erwiderte Nicole schulterzuckend, »gar nichts. Es ist mir einfach nur aufgefallen, das ist alles. Ich finde es lediglich verblüffend, mehr nicht.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und sagte: »David, es wird Zeit für dich zu gehen. Wir sehen uns dann am Freitag.«
    Als er ging, warf Esther ihm einen traurigen Blick nach. Sie winkte und verzog den Mund, als wollte sie gleich anfangen zu weinen. Ab nächster Woche würde David unendlich viel Zeit für sie haben.

Samstag, 8.00 Uhr
    Am Samstagmorgen machten sie sich auf die Reise an die Ostsee. Sie fuhren in die Hitze des Tages hinein, kaum ein Wort wurde gewechselt, die Stimmung gedrückt von der unerträglichen Schwüle im Wageninnern. Sie passierten verdorrte Wald- und Wiesengebiete, in Norddeutschland hatte es seit drei Monaten nicht mehr geregnet. Die Getreidefelder waren verkümmert, kaum gewachsene Halme ließen traurig ihre leeren Ähren hängen. Und je weiter sie nach Schleswig-Holstein hineinkamen, desto trister wurde das Bild. Es war eine gelbe, staubige Landschaft, wie David sie bisher nur von südlichen Ländern kannte. Die Natur lechzte und schrie nach Wasser, doch das Hoch hatte sich unerbittlich von den Azoren bis weit in den Norden und nach Weißrußland ausgedehnt und mit stählernen Klauen festgekrallt. Und wenn man die Satellitenbilder im Fernsehen betrachtete, so bestand keinerlei Aussicht auf Besserung, das hieße Regen und etwas Abkühlung. Und während Europa austrocknete, versanken Teile der USA und Kanadas und ein Großteil Asiens unter sintflutartigen Regenfällen. Ein paar Bauern versuchten, ihre kärgliche Ernte durch Berieselungsanlagen zu retten, doch die Kosten dafür würden kaum durch den Ernteertrag kompensiert werden.

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