Die Bankerin
Johanna war die erste und bis vor kurzem auch die einzige Frau in seinem Leben. Und er selber hätte nie geglaubt, daß sich dieser Zustand ändern würde, nicht durch sein eigenes Zutun, dazu war er viel zu phlegmatisch und darauf bedacht, vermeidbare Schwierigkeiten zu umschiffen. Er hatte lediglich dann und wann und verstohlen um sich blickend, ob ihn auch niemand Bekanntes sah, ein Pornokino besucht oder sich heimlich bestimmte Hefte gekauft, um dem ihm innewohnenden, lüsternen Tier die notwendige Befriedigung zu verschaffen.
Er sah ein, daß er sich in eine Sackgasse manövrierte. Daß ihm all das, was ihm einst so viel bedeutet hatte (und es immer noch tat, wenn auch jetzt deutlich weniger), aus den Fingern gleiten könnte, wenn er sich zu stark an Esther klammerte, nur weil er glaubte, durch sie seine Jugend zurückzuerobern. Nicht Nicole, Esther war gefährlich. Liebe – die vielleicht gefährlichste Waffe der Welt –, und er sagte sich, daß es letztendlich eine sinnlose Liebe war, der nie erfüllbare Traum eines alternden Mannes; für Esther wahrscheinlich nicht mehr als ein Abenteuer, der Reiz des Verbotenen,von dem Lebensschatz des gereiften David zu kosten. Und doch war seine innere Spannung so groß, sein Verlangen so unstillbar, daß dieses Mädchen ihn anzog wie süßer Nektar die Bienen. Er würde zu ihr gehen, Nicole die Last mit dem
verzogenen
Gör abnehmen (wenn Nicole wüßte oder auch nur ahnte, was er wirklich vorhatte!) und Tage und Abende mit ihr verbringen. Morgen, nein, heute abend würde er mit ihr ins Kino gehen, wie hieß doch gleich der Schauspieler, den sie vergötterte? Ach, egal, er war nur ein kleiner Schauspieler, unantastbar, weit weg. Esther, das kleine Biest, war schlau genug, ihr Herz nicht an irgendeinen Kerl, der von der Leinwand sein Zahnpastalächeln runterschickte, zu hängen. Schließlich, und das hatte David nicht vergessen, war an jenem Gewitterabend etwas Entscheidendes geschehen; er hatte sie, angeblich weil ihr kalt war, im Foyer des großen Hauses, als das Licht ausging und der Fahrstuhl noch in den oberen Stockwerken stand, in seine Arme geschlossen und an sich gedrückt wie ein mitleidheischendes Kätzchen, und auch wenn sie nur wenig später so tat, als wäre ihr das alles peinlich gewesen, so hatte sie es mit dem flüchtig auf seine Lippen gehauchten Kuß widerlegt. Wenn ihre Ozeanaugen ihn ergründeten, erahnte er, was in ihr vorging, doch sie würde ihm den ersten und entscheidenden Schritt überlassen. Ganz Dame, die einen Gentleman um sich werben ließ. Eine kaugummikauende, unordentliche, laszive Dame. Er würde ihr schon das eine oder andere beibringen, sie war noch jung und formbar.
Vor wenigen Tagen hatte er an diesem Fenster Johanna geliebt. Sie von hinten genommen, und es hatte ihr wohliges Vergnügen bereitet, sie hatte geschnurrt wie eine läufige Katze. Er würde Johanna vielleicht nie verlassen, weil sie nicht verdiente, so gedemütigt zu werden, ihr mit dieser göttlichen Gestalt, diesem Abbild einer Nymphe das eigene Alter und die Verbrauchtheit mit einem grausamen Spiegel vorzuhalten. Diese Demütigung wäre über die schlimmstenPrügel hinausgegangen, sie hätte ihre Seele zerstört. Und auch wegen der Kinder würde er es nicht tun. Auch wenn die vielleicht eher verstehen würden …
Bevor er ins Bett ging, um noch einmal zu versuchen einzuschlafen, schüttete er sich ein Wasserglas zur Hälfte voll mit Whisky aus seinem heimlichen Versteck. Es brannte kurz und höllisch in seinem Magen, als zündete der Teufel dort ein Feuer an; die Flammen loderten gewaltig auf und stiegen in seinen Kopf, der Qualm umnebelte sein Hirn, und er konnte einschlafen. Er nahm das Wetterleuchten am Horizont und das dumpfe Grollen nicht mehr wahr.
Montag, 9.00 Uhr
Alexander schlief noch, als David um halb acht das Haus verließ. Er hinterließ ihm einen Zettel auf dem Küchentisch. Das Gewitter hatte eine Menge Regen, doch kaum Abkühlung gebracht. Es war windstill, die Straßen dampften noch. David fuhr tanken, reinigte die Windschutzscheibe von Mücken und Schlieren, prüfte Reifendruck und Ölstand. Die Straßen in Frankfurt waren wie immer während der Ferienzeit relativ frei. David benötigte fast zehn Minuten weniger bis zur P RO C OM. Müller und Frau Badura waren schon da. Müller war ein großer, gutgebauter, blonder und blauäugiger Kerl, auf den David insgeheim neidisch war. Von den sechzehn Männern und zwölf Frauen, die hier arbeiteten, hatte
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