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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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drehte sich abrupt um, legte sich auf den Rücken, den er ihr gerade so liebevoll eingecremt hatte, und verschmierte jetzt alles auf der Auflage der Liege. Sie hielt sich eine Hand wie eine Sonnenblende über die Augen, um David besser ansehen zu können. Sie kaute einen Moment lang unentschlossen auf ihrer Unterlippe, dann sagte sie: »Ich weiß übrigens, weshalb du gekommen bist.«
    »So, weshalb denn?« fragte David errötend und wich ihrem Blick aus.
    »Sag du’s mir.«
    »Einfach so, ich habe Urlaub und …«
    »Ich habe bisher erst einmal mit einem Jungen etwas gehabt«, unterbrach ihn Esther. »Vor einem Jahr im Internat. Er war nett, aber nicht so nett wie du. Du bist gekommen, weil du mich allein sehen wolltest. Dabei ist es Schwachsinn, du bist verheiratet, du könntest mein Vater sein …«, sagte sie mit entwaffnender Direktheit und einer Offenheit, die David die Schamesröte ins Gesicht trieb.
    »Du bist so anders«, flüsterte er verlegen. »Ich bin einfach gerne in deiner Nähe. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, was deine Mutter gesagt hat. Weißt du noch, wie sie sagte, wir sähen aus wie Geschwister?«
    »Und wie soll es weitergehen? Ich bin erst seit einer Woche hier und …« Sie ließ ihre Finger über seine Hand gleiten, über den Arm. »Bitte, David, das darf einfach nicht sein. Es ist Schwachsinn!«
    »Es gibt Mächte, die sind stärker als wir. Sie sind irgendwo um uns herum und in uns drin. Wir können uns nicht dagegen wehren. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denken muß. Ich sage mir selber, es ist Wahnsinn, aber … bitte, verzeih mir.« Er streichelte ihr Gesicht, sie schloß die Augen und ließ es sich gefallen, schmiegte sich inseine Hand. Er näherte sich ihrem Mund und legte seine Lippen auf ihre, und er küßte diesen Äonen jüngeren, warmen Mund, diese zarten, noch in der Blüte befindlichen Kirschen, drückte ganz langsam und vorsichtig seine Zunge in sie hinein, und er küßte dieses Geschöpf, wie er noch nie ein Mädchen oder eine Frau geküßt hatte.

Montag, 16.00 Uhr
    Als David wenige Minuten nach vier nach Hause kam, war die Wohnung leer. Die Tür zu Alexanders Zimmer stand sperrangelweit offen, der vor sein Fenster gezogene Vorhang blähte sich weit auf, bei manchem Windstoß flog er bis zur Decke, und David fluchte leise über die Nachlässigkeit seines Sohnes. Hatte er ihm nicht tausendmal gepredigt, daß bei geöffneten Fenstern und gleichzeitig starkem Wind alle Türen geschlossen zu sein hatten?! Unendlich viel Staub wurde so unnötigerweise umhergewirbelt. David zog mit kräftigem Ruck die Tür des im Chaos versinkenden Zimmers zu und ging in die Küche, wo ein gebrauchter Teller samt Besteck auf dem Tisch stand, sowie ein noch zur Hälfte mit Limo gefülltes Glas, in dem eine Wespe verzweifelt um ihr Leben zappelte. Der Wasserhahn war nicht richtig zugedreht und tropfte klackernd in kurzen Abständen. Die Tüte Milch hatte Alexander auch nicht wieder in den Kühlschrank zurückgestellt, obgleich er kaum etwas davon getrunken hatte. David roch kurz daran, sie war noch genießbar. Brötchenkrümel auf dem Boden und dem Stuhl, auf dem Alexander gesessen hatte, überall mußte der Junge seine Spuren hinterlassen. Und nicht einmal eine Nachricht, wo er unter Umständen zu erreichen war.
    David eilte durch die Wohnung, saugte den Boden und wischte Staub, spülte das wenige Geschirr und goß die Blumen, hörte Nachrichten und schüttelte den Kopf, als er von Massakern in einem Indiodorf erfuhr. Die Hitzewelle hatte erste Todesopfer, vor allem Alte und Kreislaufschwache, gefordert. Die Krankenhäuser quollen über, ständig waren die durchdringenden Sirenen der Kranken- und Notarztwagen zu hören.
    Noch bevor er wieder zu Esther fuhr (er fuhr ab sofort nur noch zu Esther und nicht mehr zu Nicole!), mußte er unbedingt Thomas besuchen. Irgendwann, das wußte David, würde die Blockade in Thomas’ Gehirn durchbrochen werden, irgendwann würde Thomas die fehlenden Minuten in sein Gedächtnis zurückrufen.
    Er hatte den Duft von Esthers junger Haut noch in seiner Nase, den süßen Geschmack ihrer Lippen noch auf seiner Zunge. Alles um ihn schien erfüllt vom wohltuenden Aroma ihrer Sonnencreme, vom Duft ihres Haares. Er wußte, welch Tor er war, daß er wie ein Narr handelte, nur Narren handelten wie er. Doch war die Liebe an sich nicht etwas Närrisches? Zauberte sie nicht im Nu Gefühle wie weiße Kaninchen aus dem Hut, konnte sie nicht einen klaren

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