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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Verstand von einer Sekunde zur anderen in einen rauschartigen Zustand verwandeln? David rechnete nach – wenn er fünfzig war, würde Esther schon sechsundzwanzig sein, er war doch noch so jung, auch wenn seine Haare ausfielen und die ersten Ansätze von Grau zu erkennen waren. Er hatte sich noch nie um die Meinung anderer geschert, und er würde es auch diesmal nicht tun. Narr!! Jetzt baute er schon tagsüber Luftschlösser, und auf einmal machte ihn die Gewißheit traurig, nie in diesem Luftschloß wohnen zu können, diesen Traum nie erfüllt zu bekommen. Er war, wie es schien, einem Leben ausgeliefert, aus dem es kein Entrinnen gab. Er würde sich nie scheiden, nie seine Kinder im Stich lassen. Sein Gesicht, das er bisweilen schon jetzt kaum noch imSpiegel zu sehen ertrug – dann würde er es erst recht nicht mehr sehen können. Er war zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt, vernarrt, verschossen und würde doch nie mit der Nymphe Esther auf Dauer glücklich sein können. All dies wußte er, und doch spielte sie im Moment die Hauptrolle in seinem Leben. Jetzt und morgen und übermorgen. Und selbst wenn sie ihn eines Tages vergessen haben würde – er würde nie die wenigen Augenblicke seiner späten Jugend mit ihr vergessen.
    Er hatte nur am Mittag bei Esther einen Whisky getrunken, jetzt holte er die Flasche aus dem Versteck, setzte sie an und nahm drei lange Schlucke, um den Kummer zu vertreiben. Er setzte sich an den Küchentisch und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, stützte den Kopf auf und schloß die Augen. In seinem Kopf hämmerte es, draußen ging eine Flasche zu Bruch, Kinder schrien und lachten. Der Geruch von Gebratenem stieg durchs Haus und drang durch jede Ritze.
    David wusch sich Gesicht und Hände, putzte die Zähne. Als er fertig war, überlegte er, ob er noch duschen sollte, doch er ließ es sein, er würde heute noch nicht mit Esther schlafen. Sie hatten sich benommen wie frisch verliebte Jugendliche, hatten sich geküßt und gestreichelt … Mehr sollte es nicht sein, er würde nichts fordern.
    Er machte sich bereit zum Gehen, als es klingelte. Er sah zur Uhr, kurz nach fünf. Wenn er um sechs in der Klinik sein wollte, mußte er sich sputen. Er legte die Sicherungskette vor und machte die Tür einen Spalt auf. Draußen standen zwei Männer, wohlbekannte Gesichter, Brüder aus der Gemeinde. Ausgerechnet die! Sie lächelten ihn an, er ließ sie eintreten. Sie zu sehen war ihm nicht recht, er hatte die Gemeinde seit zwei Monaten nicht besucht und hatte auch nicht vor, dies in nächster Zeit zu tun.
    »Guten Tag, Bruder Marquardt«, sagte einer der beiden, Bruder Schneider, der Mann für
schwierige
Fälle, und bliebim Flur stehen. »Wir wollten uns mal nach Ihrem Befinden erkundigen.«
    »Mir geht’s gut«, erwiderte David kühl und blickte demonstrativ zur Uhr. »Ich habe auch nicht viel Zeit, ich muß zu Thomas in die Klinik, Sie wissen ja.«
    »Ja, wir haben davon gehört, schlimm, nicht? Wir haben schon lange vorgehabt, ihn einmal zu besuchen, aber die Zeit! Bestellen Sie ihm auf jeden Fall schöne Grüße von uns. Hätten Sie trotzdem einen Moment Zeit für uns?«
    »Bitte, wenn es nur ein Moment ist.«
    »Dürfen wir uns setzen?«
    »Bitte, im Wohnzimmer.«
    »Ich war noch nie in dieser Gegend«, sagte Bruder Schneider und setzte sich mit dem anderen Mann auf die Couch, während David im Sessel Platz nahm. »Aber hier hat man ja richtig Angst, aus dem Auto zu steigen. Es ist schlimmer als jede Beschreibung, die ich bisher gehört habe …«
    »Tut mir leid, wenn es Ihnen nicht gefällt, aber es hat Sie keiner gezwungen herzukommen!« erwiderte David sarkastisch. »Wir leben hier, und sobald man in der Wohnung ist, ist alles halb so schlimm.«
    »Es war nicht so gemeint«, wiegelte Schneider ab, der merkte, daß er den falschen Einstieg gewählt hatte, während der andere, der junge Bruder Gehrmann, sich still im Hintergrund hielt. »Können wir irgend etwas für Sie tun?«
    »Wie meinen Sie das?« fragte David mißtrauisch.
    »Nun, wir haben Sie seit Monaten nicht in der Kirche gesehen, und zuletzt kam immer nur Ihre werte Frau mit den Kindern. Wenn Sie Hilfe brauchen, in welcher Form auch immer, dann lassen Sie uns das bitte wissen.«
    »Nein, ich brauche keine Hilfe. Ich kann mich jedoch erinnern, daß es Zeiten gab, da hätte ich tatsächlich welche gebraucht, aber da hat sich niemand für uns interessiert.«
    »Wir haben es nicht gewußt.«
    »Sie wußten es!

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