Die Bankerin
was.«
»Seltsam, eine Frau, die promovierte Juristin ist und sich dann mit derartigen Dingen abgibt!«
»Ich sage doch, sie ist verrückt. Einfach nur plemplem! Sie trinkt nicht nur, sie nimmt außerdem irgendwelche merkwürdigen Drogen, die sie high machen. Mein Vater hat es mir erzählt. Er war heidenfroh, als die ganze ekelhafte Geschichte mit ihr über die Bühne war.«
»Warum bist du dann überhaupt hergekommen, wenn du weißt, daß sie so – böse – ist? In deinem Alter kannst du doch in einem Ferienclub oder irgendwo sonst Urlaub machen …«
»Mein Vater hat einen Tag vorher angerufen, daß aus unserem Segeltörn nichts werden würde, er hatte nach einem Auftritt in San Francisco einen Schwächeanfall. Und da er sowieso Herzprobleme hat, hat er sich gleich in eine Klinik einweisen lassen. Er hat für die nächsten vier Monate alle Konzerte abgeblasen und kuriert sich aus. Ich wollte zwar zu ihm fahren, aber er hat mich gebeten, nicht zu kommen, warum auch immer. Begeistert war ich nicht gerade, aber ichhatte ehrlich gesagt auch keine Lust, jetzt Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, nur damit ich irgendwo unterkomme. Außerdem ist sie immer noch meine Mutter, und ich habe ein Zimmer bei ihr. Das ist übrigens das einzige, worüber ich mich wundere, daß sie dieses Zimmer nicht anderweitig nutzt. Na ja, aus ihr wird wohl keiner je schlau! Komm, laß uns fahren.«
»Gefällt es dir hier nicht?«
»Schon, aber ich würde gerne zurückgehen. Wir brauchen mindestens zwanzig Minuten bis zum Auto. Und ich möchte nachts nicht gerne durch einen finsteren Wald laufen.«
David befreite seine Hosenbeine und nackten Arme von der von wochenlanger Trockenheit ausgedörrten Erde. Esther ging ein paar Schritte vor ihm, und er beeilte sich, um nach ein paar Metern auf gleicher Höhe mit ihr zu sein. Das Thema Beischlaf schien für den Augenblick vom Tisch, fortgeschwemmt von einer Woge aus Angst und Mißtrauen und dem Gefühl, der übermächtigen Zornesmutter Nicole nicht gewachsen zu sein. Dieses Mädchen, das anfangs so fest und störrisch ihrer Mutter gegenüber aufgetreten und ihr verbal in mancher Hinsicht sogar überlegen war, dieses selbe Mädchen mit der überreichen Intelligenz zog sich plötzlich in ein finsteres Schneckenhaus zurück und sprach auf dem ganzen Weg zurück kein Wort; nur auf ein paar Fragen von David, aufmunternde Worte, zuckte sie mit den Schultern und brummte ein mürrisches »Hm«.
Erst im Auto, auf der Fahrt vom Feldberg ins Tal, als David mit gemäßigter Geschwindigkeit die scharfen Kurven nahm und aus dem Radio leise Musik spielte, sagte Esther, aus dem Fenster in den immer dunkler und bedrohlicher werdenden Wald sehend: »Ich könnte mir ein Leben an deiner Seite vorstellen. Ich glaube, ich kenne dich besser als meinen Vater. Warum muß das Leben immer so kompliziert sein? Warum kann ich nicht zehn Jahre älter sein? Warum wird alle Welt gegen uns sein, wenn sie erfährt, was wir tun?«
Sie fuhren durch Königstein und machten einen weiten Bogen um Frankfurt, kamen durch Oberursel und Bad Homburg und schließlich auf die Autobahn, die direkt ins Herz der Mammutstadt führte. Es war zehn Uhr vorbei, der Himmel hatte sich ein dunkelblaues Abendkleid übergezogen, am westlichen Horizont schimmerte es gelb und rot, ein Jet stieg singend in die anbrechende Nacht.
»Noch erfährt keiner etwas. Und wir werden alles tun, um zu verhindern, daß sie auf uns aufmerksam werden. Ich werde überlegen, und mir wird etwas einfallen.« Er machte eine Pause, blickte Esther kurz von der Seite an. »Weißt du, du bist die erste Person, für die ich bereit wäre, alles aufzugeben.«
»Alles? Deine Familie, deine Kinder?« fragte Esther mißtrauisch. »Warum? Weil ich noch so jung bin? Weil ich hübsch bin? Du würdest also alles für mich aufgeben?«
»Alles. Es gibt Zeiten, da muß man sich entscheiden. Aber wir müssen es beide wollen.«
Hatte er nicht erst vor wenigen Stunden gedacht, er würde Johanna und die Kinder nie verlassen? Er war ein wankelmütiger Mensch, wie ein Schiff, das ohne Ruder und Segel von heftigen Winden umhergetrieben wurde. Esther mußte nur neben ihm sitzen, er ihre Nähe spüren, und schon verbrannten alle Vorsätze zu feiner Asche.
David lieferte Esther pünktlich um Mitternacht zu Hause ab. Nicole, das Ungeheuer, als das Esther sie empfand, lauerte in die Couch gezwängt auf ihre Opfer. Aus der Musikanlage klang sanfte Musik, sie rauchte und las dabei in
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