Die Bankerin
außer mit ihr auch noch mit mir …« Sie stockte, David stand an der Ampel und sah geradeaus aus dem Fenster.
»Nicole ist die seltsamste Frau, die ich bislang getroffen habe«, sagte er, ohne den unvollendeten Satz von Esther zu vervollständigen. »Ich weiß bis heute nicht, was hinter ihrer Stirn vorgeht. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde sie mich hassen. Dann wieder tut sie so, als könnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Du mußt aufpassen«, sagte Esther. »Sie ist krank. Nicht körperlich, in ihrer Seele. Mein Vater sagt es. Er hat sich von ihr scheiden lassen, weil sie bösartig wurde. Sie hat Dinge getan, die kein normaler Mensch tun würde. Sie hat seinen Rolls demoliert, seine Anzüge zerschnitten, Bilder zerfetzt, eine volle Flasche Brandy nach ihm geworfen, und weißt du warum?« Sie zog die Stirn in Falten, schaute aus dem Fenster. »Es gab keinen Grund, sie ist einfach nur verrückt. Weißt du, wie sie aussieht, wenn sie morgens das Haus verläßt, um in die Bank zu gehen? Sie trägt ein graues oderbraunes Kostüm, klobige Schuhe, sie hat die Haare hinten zu einem Dutt geformt und vorher den Nagellack entfernt, kein Lippenstift, kein Rouge, nichts. Sie bindet sich eine alte Digitaluhr um und macht sich einfach abgrundtief häßlich. Ich habe sie gefragt, warum sie so entsetzlich rumläuft, aber sie hat mir nicht darauf geantwortet. Nun, es ist ihr Problem. Aber auch das sagt mir, daß sie krank ist. Ein normaler Mensch verhält sich nicht so. Warum tut sie es?«
David fuhr aus Frankfurt heraus, über die breite Ausfallstraße, die zum Taunus hinführte. »Sie sagt, sie habe kein Interesse an geifernden, geilen Männern, wie sie angeblich reihenweise in der Bank rumlaufen. Deswegen würde sie sich so kleiden«, erklärte David.
»Das mag sogar stimmen, denn sie hat, und da bin ich absolut sicher, seit der Scheidung nie wieder einen anderen Mann gehabt, obgleich sie an jedem Finger tausend haben könnte.« Sie stockte, sah David von der Seite an und fragte: »Und was ist mit dir? Warum bist du wirklich mit ihr zusammen? Liebst du sie etwa? Ich meine, daß du mit ihr schläfst, ist mir klar …«
»Ist das so wichtig?«
»Ja, irgendwie schon. Auf der anderen Seite kann ich dich natürlich auch verstehen, meine Mutter ist eine attraktive Frau, zumindest abends. Sag mir bitte ganz ehrlich, wie ist euer Verhältnis?«
»Gleich. Ich fahre nur auf den Parkplatz, und dann gehen wir ein bißchen spazieren. Die frische Waldluft wird uns guttun.«
Die Idee, den Abend im Taunus zu verbringen, hatten viele Frankfurter, die der zum Teil unerträglichen Hitze ihrer Wohnungen entflohen und hier ein wenig Erholung und Abkühlung suchten. David und Esther nahmen einen schmalen, wenig frequentierten Weg. Die schattige Kühle machte das Atmen leicht, und im ersten Moment wirkte der Sauerstoff wie Doping. David nahm Esther bei der Hand und schwieg.
»Du wolltest mir etwas sagen.«
»Ich überlege gerade …«
»Was – ob du mir die Wahrheit sagen sollst?«
»Nein, das nicht. Ich weiß nur nicht, wie ich diese Wahrheit in die passenden Worte packen kann. Versprich mir nur, nicht zu lachen und auch nicht böse zu sein! Versprich mir, einfach nur zuzuhören und mich zu verstehen. Wenn überhaupt jemand das kann, dann vielleicht du. Denn wenn du wirklich so intelligent bist, und ich glaube, du bist es, dann wirst du es verstehen. Obwohl, andererseits, wie solltest du begreifen, was ich selbst nicht begreife? Wahrscheinlich ist es die perverseste Geschichte, die überhaupt jemand erleben kann, aber sie zeigt nur einmal mehr, daß in diesem Leben und auf dieser Welt nichts unmöglich ist.«
Er hielt inne und nahm ihre Hand etwas fester, ihre Schritte waren gleichmäßig und langsam, und während sie sich vorwärtsbewegten, tiefer in den Wald hinein, nur ab und zu begegneten ihnen Spaziergänger, begann David zu sprechen. »Ich habe bis zum Hals in Schulden gesteckt, die Bank hatte alles gesperrt, was mit Geld zu tun hatte, meine Familie und ich, wir standen praktisch am Abgrund. Ich habe mit zwanzig geheiratet, eine Frau, die fünf Jahre älter ist als ich. Sie hat ein Kind mit in die Ehe gebracht, drei weitere folgten, ein anderes ist kurz nach der Geburt gestorben. Ich habe ein Computerunternehmen aufgebaut, eines der besten Textverarbeitungsprogramme auf den Markt gebracht, uns ging es jedenfalls blendend. Dann haben mich mein Buchhalter und mein Steuerberater übers Ohr gehauen und sind mit
Weitere Kostenlose Bücher