Die Bankerin
herkommen, was genau Sie machen, wie Sie in dieses Dilemma geraten sind. Schießen Sie los!«
»Sie sind auf einmal an meinem Leben interessiert?«
»Natürlich.«
Der Ober, einer von diesen jungen, überaus gutaussehenden Papagalli, trat an den Tisch, beugte sich leicht nach unten, sie gab flüsternd die Bestellung auf. Der gelackte Schönling verschwand lautlos und kehrte nach höchstens einer Minute mit zwei Gläsern und einer Flasche Chianti zurück. Sie hob das Glas und prostete ihm zu, David nahm einen Schluck. Er war an Wein nicht gewöhnt und verzog den Mund; das einzige Mal, daß er welchen getrunken hatte, war in seiner Jugend gewesen, und die lag Ewigkeiten zurück. Er stellte das Glas auf den Tisch, fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand, verfolgte mit seinen Augen den sich im Kreis drehenden Finger.
»Nun, ich bin zweiundvierzig Jahre alt, komme aus einer kleinen Stadt in Oberfranken, das ist in Nordbayern. Mein Vater hat die Familie verlassen, als ich vierzehn Jahre alt war, den genauen Grund kenne ich nicht, aber vermutlich hat es mit meiner Mutter zu tun, die, nun sagen wir, nicht gerade eine vor Lebensfreude sprühende Frau ist. Wissen Sie, wenn meine Frau von morgens bis abends den Rosenkranz runterleiernd durch die Wohnung ziehen würde, ich weiß nicht, wie lange ich das aushalten würde … Ich weiß nicht einmal, wohin es ihn verschlagen hat. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.« Er zuckte mit den Schultern, nippte an seinem Wein, fuhr fort: »Na ja, als ich zwanzig war, bin ich nach Frankfurt gegangen. Ich habe studiert, meine Fraukennengelernt, wir haben geheiratet … Mit siebenundzwanzig habe ich mich selbständig gemacht, mit dreißig war ich Millionär …« Er seufzte auf, schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf. »… Und mit vierzig war ich urplötzlich arm wie eine Kirchenmaus. Und ob Sie’s mir glauben oder nicht, ich habe nichts, aber auch gar nichts verbrochen. Meine Angestellten haben alle ein exzellentes Gehalt bezogen, meiner Familie fehlte es an nichts, ich brauchte mir um meine Zukunft keine Sorgen zu machen … Um mehr als dreißig Millionen Mark bin ich betrogen worden, betrogen von den zwei Leuten, denen ich am meisten vertraute. Mein Prokurist, Dr. Meyer, er war, solange ich ihn kannte, oder zumindest zu kennen glaubte, die Zuverlässigkeit in Person. Er war nie krank, hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen, hat immer alle Zahlungstermine eingehalten, wir hatten keine Probleme miteinander …«
»Und Sie hatten nie einen Verdacht, daß er eines Tages zu einem solchen … Verbrechen … fähig sein würde?«
»Er war zwar ein etwas eigenbrötlerischer Mensch, war geschieden, hatte hier und da eine Beziehung, aber wir kannten uns einfach zu lange, als daß ich ihm nicht vertraut hätte. Glauben Sie, ich hätte ihn zum Prokuristen ernannt, hätte ich auch nur den geringsten Zweifel an seiner Integrität gehabt? Unbescholtener als Dr. Meyer kann ein Mensch überhaupt nicht sein.« Er lachte bitter auf. »Und deswegen war ich um so mehr vor den Kopf gestoßen, daß ausgerechnet er mir das angetan hat. Aber nicht nur mir, auch meiner Familie und meinen Angestellten. Er und mein Steuerberater, dieser Neubert, müssen das Ganze über einen recht langen Zeitraum hinweg geplant haben. Wenn ich so überlege, dann muß die Planung mindestens ein Jahr vor Ausführung begonnen haben.« Er machte eine erneute Pause, sie schwieg ebenfalls, er sagte: »Das war’s, mehr gibt’s nicht zu berichten.«
»Und jetzt, was machen Sie jetzt?«
»Ich bin bei einem ehemaligen Kollegen und späteren Konkurrenten untergekommen. Er hat mich eingestellt, obwohl wir im Streit auseinandergegangen sind. Er sagte, er glaube an meine Unschuld und … na ja, wenigstens habe ich einen Job. Aber Sie kennen ihn ja, er hat sich für mich bei Ihrer Bank eingesetzt.«
»Und was machen Sie?«
»In der Poststelle, woanders hat er mich nicht unterbringen können. Ist ja auch egal, Hauptsache ich kann arbeiten. Trotzdem, ich hätte nie gedacht, eines Tages so zu enden. Und jetzt wohnen wir in einer viel zu kleinen Wohnung in einem absolut heruntergekommenen Stadtteil! Wir werden bedroht, belästigt, ich warte nur auf den Tag, an dem einem von uns wirklich etwas passiert. Die Polizei meint, sie könne uns nicht schützen, solange …«
»Solange nicht wirklich etwas passiert«, führte sie den Satz zu Ende.
Dann fuhr er leiser werdend fort, wobei er sich am Weinglas festhielt: »Und
Weitere Kostenlose Bücher