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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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dasitzende Statue, die Beine eng geschlossen, die Arme um die Knie geschlungen, ein Modell für einen Maler – vielleicht Pierre? –, das die eingehende Begutachtung und Abschätzung widerspruchslos über sich ergehen ließ.
    »Könnten Sie mich lieben?« fragte sie sanft, bereits zum zweiten Mal.
    Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Sie quälen mich mit dieser Frage. Warum tun Sie das?«
    »Ich will Sie nicht quälen, ich will nur eine Antwort. So wie heute haben Sie mich noch nie geliebt. Körperlich. Ich hatte aber das Gefühl, als wenn …«
    »Nein, Ihr Gefühl täuscht.«
    »Ich verstehe. Es ist ja nur ein Arbeitsverhältnis zwischen uns.« Sie klang traurig. War sie vorhin noch ein fauchendes, beleidigtes, wildes Tier, so wirkte sie nun auf eine sonderbare Weise traurig oder schwermütig, Melancholie, die sich im Zimmer festgesetzt hatte. Sie erinnerte David an jemanden, den er kannte, doch ihm fiel nicht ein, an wen. Ihr Mund, ihre Augen, die Gesichtszüge, in diesem pastellfarbenen Licht meinte er, sie schon ein Leben lang zu kennen. Sie konnte hart, spöttisch, höhnisch, verletzend, bösartig sein. Jetzt war sie nur noch verletzlich, verwundbar und zart. Er spürte, ohne sie zu berühren, die seidige Wärme ihrer Haut, er atmete den Duft ihrer Scham, fühlte das Vibrieren ihrer Schenkel. Er schloß für Sekunden die Augen, band seine Schuhe zu. Als er fertig angezogen war, drehte er sich um. Ihre Haltung hatte sich nicht verändert. Gerne hätte er sie ein letztes Mal an diesem Abend gestreichelt, sie in den Arm genommen.
    »Küß mich, bevor du gehst«, bat sie, und zum ersten Mal duzte sie ihn. »Bitte, bitte küß mich.« David gehorchte wie in Trance. »Ruf mich an, wenn du wieder da bist.« Sie begleitete ihn nackt zur Tür. »Ich werde auf dich warten.«
    Er mußte lächeln, berührte kurz mit seinen Fingerspitzen ihre Nase, ihren Mund. Lief die Treppe hinunter, lautlos wie eine Katze bewegte er sich in die laue Nacht hinein. Setzte sich ins Auto, drehte den Zündschlüssel, kurbelte das Fenster herunter und fuhr los. Hielt an der nächsten Ecke, die Straße war menschenleer. Legte den Kopf aufs Lenkrad und wurde von einem heftigen Weinkrampf durchgeschüttelt. Eine ältere Frau führte ihren Hund spazieren, blieb kurz stehen und sah zu David herüber. Ja, sagte er zu sich selbst, ich könnte sie lieben, vielleicht.
     
    Johanna war ein bedauernswertes Häufchen Elend. Sie stand mit verheultem Gesicht vor dem geöffneten Schrank und packte ein paar Sachen für die Fahrt in eine Reisetasche.David nahm sie in den Arm. Sie weinte noch heftiger, und David mußte an früher denken, als er noch klein und häufig krank gewesen war, er manchmal tagelang im Bett liegen mußte, dann weinte er immer besonders heftig, sobald sich jemand zu ihm setzte oder ihn umarmte. Doch es gab kaum jemanden, der zu ihm kam und ihn umarmte. Wenn er krank war, war er allein. Meistens.
    David streichelte über Johannas strohiges Haar. Sie roch heute nicht nur nach Küche und Arbeit, jetzt hatte sich der fade Geruch von Kummer und tiefer Trauer dazugesellt. Sie wußten schon seit vielen Jahren, daß Johannas Vater krank war, es hatte mit seinen Nieren begonnen, und irgendwann hatte sich die Krankheit wie ein Schwelbrand über seinen ganzen Körper ausgedehnt, und schließlich war sein Herz in Mitleidenschaft gezogen worden. Einst ein Baum von einem Mann, hatte er zu lange die Warnsignale seines Körpers ignoriert, gehörte er zu den vielen, die meinten, unsterblich zu sein, als wäre er die meiste Zeit seines Lebens überzeugt gewesen, nie sterben zu müssen. Doch der Tod kam schneller als erwartet. David würde nie diesen einen Morgen vergessen, während einem der seltenen Besuche bei Johannas Eltern, als seine Schwiegermutter aufgeregt morgens um halb fünf (der Himmel war von pastellfarbenem Blau und am östlichen Horizont rötlich gefärbt, und es war nur eine Frage weniger Minuten, bis die Sonne als riesiger gelber Ball aus der See hervorsteigen würde) gegen die Tür hämmerte und David aufgelöst bat, ihr zu helfen, ihrem Mann ginge es sehr schlecht. Er saß vornübergebeugt auf der Eckbank in der Küche, einen Blecheimer vor sich auf dem Stuhl, das Gesicht grün-blau angelaufen, die Augen dunkelrot, er würgte zähen, grau-grünen Schleim aus seinem Magen, und dabei schrie er wie ein wildes, schwer verwundetes Tier und würgte wieder Schleim, und seine Frau hatte verzweifelt gesagt, so hätte sie ihn noch nie

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